Bryson, Jo: Effective Library and Information Centre Management. - 2. Aufl. - Aldershot; Brookfield, VT : Gower, 1999. - XIV, 448 S. : graph. Darst. 0-566-07691-8 GBP 25
>(1)Nachdem in den siebziger Jahren zunächst das Konzept des "Marketing" aus der Wirtschaftswissenschaft in der Bibliothekswissenschaft rezipiert wurde, werden in den neunziger Jahren Managementtheorien und -techniken, ein Teilbereich der Betriebswirtschaftslehre, unter dem Titel "Bibliotheksmanagement" in der fachlichen Diskussion übernommen >(2). Parallel dazu gewinnt der Begriff des "Informationsmanagements" an Bedeutung, der lange Zeit vor allem technisch definiert wurde >(3). Mittlerweile wird darunter eher der Prozeß der Planung von Informationsbedarf und der adäquaten Vermittlung von Informationen verstanden, wobei technische Aspekte eine wichtige, aber untergeordnete Rolle spielen. So wird er beispielsweise auch in der Wirtschaftsinformatik verwendet >(4). Seit neuestem dient er in Stuttgart sogar als Bezeichnung für den ehemaligen Dokumentationswesen-Studiengang >(5).
Ist das nicht alter Wein in neuen Schläuchen? Wurden nicht auch bisher Bibliotheken schon "gemanagt", wenn man dies auch "Führung", "Leitung" oder "Organisation" nannte? Oder, bezogen auf den Begriff des "Informationsmanagements", wurde nicht auch bisher schon Information verbreitet, auch wenn dies "Ausleihe" oder "Auskunftsdienst" hieß? Ja und nein. Es geht nicht mehr nur um Organisations- und Personalverwaltung bzw. -entwicklung, sondern zusätzlich um die Übernahme von speziellen Managementmethoden oder -techniken. Und es geht um eine andere Art von Informationsvermittlung, z.B. um proaktive Informationsdistribution.
Wenn auch in letzter Zeit beide Begriffe zunehmend in den bibliothekarischen Zeitschriften behandelt werden, so fehlt im deutschsprachigen Raum doch noch ein Hand- bzw. Lehrbuch >(6), das einen oder beide Ansätze in sich stimmig zusammenfaßt. Könnte das im Folgenden besprochene englischsprachige Buch ein Ersatz für diese Lücke sein?
Die Autorin des Buches ist Australierin und arbeitete in leitenden Positionen im Bibliotheks- und Informationssektor. Sie lehrt die Inhalte dieses Buches an einer Hochschule und ist aktuell Beraterin der Regierung von Western Australia für "change management" >(7).
Das Buch ist in neun Teile gegliedert:
- der erste Teil behandelt grundsätzlich die Rolle des "Managers",
- der zweite Teil behandelt die Struktur des Informationszentrums,
- der dritte Teil behandelt verschiedene Formen der Planung: Strategische Planung, Personalplanung, Informationsplanung, Technologieplanung und Finanzplanung,
- der vierte Teil behandelt die Frage, wie man sein Umfeld in der Organisation, der das Informationszentrum angehört ("parent organization"), organisiert,
- der fünfte Teil behandelt die Techniken, wie im Informationszentrum Dinge entschieden und durchgeführt werden, wie z.B. Führung, Autorität, Delegation, Entscheidungsprozeß, Netzwerk, Gruppendynamik, Motivierung, Konflikt, Verhandlung und Veränderungsmanagement,
- der sechste Teil behandelt die Frage, wie Information in der Organisation, der das Informationszentrum angehört, gemanagt und kommuniziert wird,
- der siebte Teil behandelt die Frage, wie die Individuen im Informationszentrum gemanagt werden,
- der achte Teil behandelt das Risikomanagement,
- der neunte Teil behandelt die Gestaltung von Diensten mit Fragen wie: Marketing, Konkurrenzstrategien, Qualitätskontrolle, Benutzerorientiertheit, Outsourcing, "performance measurement" und Evaluation.
Wie dieser Übersicht zu entnehmen ist, sind so gut wie alle relevanten Themen vertreten, die dem "strategischen Management" zugerechnet werden >(8). Sie werden klar, strukturiert und stets in Bezug auf den Gesamtrahmen eines "integrierten" Informationsmanagements dargestellt. Letzteres bedeutet, daß die einzelnen Ansätze und Techniken aufeinander abgestimmt sind. Manches wird typologisch dargestellt, wie z.B. verschiedene Führungsstile, die Autorin betont aber bei solchen Fällen stets, daß solche Typologien nur als Hilfsmittel anzusehen sind, daß im konkreten Fall ein Methodenmix oder ein Wechsel zwischen verschiedenen Stilen notwendig sein kann.
Die Ebene der Darstellung befindet sich durchweg auf einem mittleren Niveau, es wird weder theoretisch überhöht argumentiert noch werden zu eingehend praktische Fragen behandelt. Beispielsweise wird bei der Technologieplanung auf die wichtigsten Fragen und Probleme des technischen Equipments eingegangen, ohne aber Einzelheiten der Ausgestaltung zu behandeln.
Hervorzuheben ist, daß die Inhalte des Buches konsequent unter zwei Gesichtspunkten behandelt werden:
- Die Annahme eines kontinuierlichen Wechsels innerhalb und außerhalb der Organisation: Jo Bryson hebt hervor, daß dies das hervorstechende Merkmal ist, unter dem Informationsmanagement, wenn es erfolgreich sein will, geplant und ausgeführt werden muß. Sie benutzt dazu das Bild des Tanzes auf einem fliegenden Teppich, um die Schwierigkeiten des Handelns unter dieser Voraussetzung hervorzuheben.
- Die Notwendigkeit einer aktiven Informationspolitik, d.h. eine genaue Erhebung von Informationsbedürfnissen der Kunden und eine genaue Planung, wie man diesen Bedürfnissen möglichst effizient entsprechen kann.
Die Erschließung des Buches ist hervorragend: Am Anfang steht in Form eines Diagramms ein kursorischer Gesamtüberblick über jene Aspekte, die das Buch behandelt. Dieser Überblick wird am Anfang eines jeden Teiles wiederholt, wobei der spezielle Teil herausgehoben und weiter ausdifferenziert wird. So bekommt man einen exzellenten Überblick, wo man sich in der thematischen Landschaft gerade befindet und welche besonderen Aspekte das Thema, das gerade behandelt wird, ausmachen. Neben diesen Übersichtsdiagrammen gibt es zahlreiche andere Diagramme, graphische Darstellungen und tabellarische Aufstellungen, die den jeweiligen Aspekt nochmals strukturieren und damit besser erschließen. Die häufigen Aufzählungen werden jeweils durch Spiegelstriche hervorgehoben. Schließlich bietet ein sechsseitiges, gut differenziertes Register die Möglichkeit, punktuell auf einzelne behandelte Sachverhalte zuzugreifen.
Man kann hinsichtlich Inhalt und Erschließung in der Tat von einem Hand- und Lehrbuch sprechen, wie dies im Vorwort versprochen wird. Allein, es muß zur Bezeichnung "Handbuch" einschränkend bemerkt werden, daß nur die verwendete Literatur angegeben wird. Das Buch gibt keinen Überblick über die einschlägige Literatur, wie dies sonst bei Handbüchern üblich ist. Insofern überwiegt der Lehrbuchcharakter.
Welche Zielgruppe hat das Buch? Die Autorin spricht im Vorwort vorrangig die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Informationsabteilungen kleiner und mittlerer Organisationen (sie meint damit durchaus auch wissenschaftliche und öffentliche Bibliotheken sowie Archive) und die Studierenden der Bibliothekswissenschaft und des Informationswesens als Zielgruppe an. Sie betont, daß das Buch insbesondere für jene geschrieben ist, die kaum Möglichkeiten haben, Hilfe in Managementfragen bei anderen zu holen und die auch keine entsprechenden Fortbildungen besucht haben. Letztlich sind alle aus dem BID-Bereich angesprochen, da es eben dies ist, was letztlich als Quintessenz aus dem Buch zu ziehen ist: Die traditionell spezialisierten Berufsfelder wie z.B. Bibliothekar/in, Archivar/in oder Dokumentar/in verlieren rapide an Prägungskraft, letztlich läßt sich die Arbeit - gerade hinsichtlich ihrer fortschrittlichen Aspekte - unter dem neuen, gemeinsamen Titel "Informationsmanager/in" ohne große Probleme beschreiben.
Solange auf diesem Sektor noch kein deutschsprachiges Lehrbuch existiert, stellt dieses in verständlichem Englisch geschriebene Buch immerhin eine informative und abgerundete Alternative dar >(9). Es sei abschließend noch bemerkt, daß das Buch durchaus seinen Preis wert ist, da die Aufmachung (zwar Paperback, aber mit Fadenheftung) durchaus hochwertig ist. Deutsche Fachbücher mit vergleichbarem Umfang und vergleichbarer Ausstattung kosten erheblich mehr.
Anmerkungen
>(1) Erste Auflage 1990. Die zweite Auflage ist überarbeitet.
>(2) Die Professoren für Management und Marketing der verschiedenen bibliothekarischen Ausbildungsstätten haben mittlerweile schon das vierte Treffen zum Thema abgehalten (vgl. Rundschreiben / hrsg. VdDB und VDB, 1999/1, S. 10f.) und auf dem GMD-Server eine eigene Mailingliste zum Thema eingerichtet ("BIBMAN-L"), die auch Interessierten offensteht (E-Mail an: LISTSERV@LISTSERV.GMD.DE, Subject freilassen, im Text "subscribe bibman-l Vorname Name", eventuelle Signature löschen).
>(3) Vgl. z.B. "Handbuch des Informationsmanagements von Unternehmen / hrsg.: von Hans-Jörg Bullinger. - München : Beck, 1991. 3-406-33720-1 2 Bd.".
>(4) Vgl. Informationsmanagement: Planung, Überwachung und Steuerung der Informationsinfrastruktur / von Lutz J. Heinrich. - 4., vollst. überarb. und erg. Aufl. - München ; Wien : Oldenbourg, 1992. - 542 S.: graf. Darst. 3-486-222273-2.
>(5) Fachhochschule Stuttgart, Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen. Vgl. http://www.hbi-stuttgart.de/d/st/sg/dsgdok10.htm.
>(6) Immerhin, einen gewissen Ersatz stellt das virtuelle "Textbuch: Bibliotheksmanagement" dar (http://www.fh-potsdam.de/~hobohm/man_toc.htm), das verschiedene Texte von Dozenten der bibliothekarischen Ausbildungsstätten sammelt.
>(7) Alle Angaben lt. Verlag. Sie konnten leider nicht über das Internet verifiziert werden. - Neben dem hier besprochenen Werk veröffentlichte die Autorin außerdem: Managing Information Services : An Integrated Approach / Jo Bryson. - Aldershot [u.a.] : Gower, 1997. - XIX, 428 S. : Ill. 0-566-07690-1.
>(8) Bei der Lektüre fielen nur zwei fehlende Themen auf: Das Phänomen des "downsizing", das den Tatbestand beschreibt, daß manche Firmen ihre Informationsabteilung ganz auflösen, um ihren Informationsbedarf komplett von außen zu decken (sozusagen: finales Outsorcing), wird nicht erwähnt, und das "Zeitmanagement", das innerhalb des OPL-Ansatzes eine Rolle spielt und beim Bibliotheksmanagement ebenfalls berücksichtigt werden sollte, wird ebenfalls nicht behandelt.
>(9) Natürlich kann man sich Managementtheorien auch anhand der deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Fachliteratur aneignen (nur als Beispiel: Strategisches Management / Franz Xaver Bea ; Jürgen Haas. - 2., neubearb. Aufl. - Stuttgart : Lucius und Lucius, 1997. XXIII, 608 S. : graph. Darst. (UTB für Wissenschaft : Uni-Taschenbücher ; 1458 ; Betriebswirtschaftslehre) (Grundwissen der Ökonomik : Betriebswirtschaftslehre) 3-8252-1458-3, 3-8282-0036-2). Freilich sind diese in Sprache und Inhalt von der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion geprägt und es fehlt der spezielle Bezug zur Informationsvermittlung.
Anschrift des Rezensenten:
Dr. Jürgen Plieninger
Bibliothek des Instituts für Politikwissenschaft
Universität Tübingen
E-Mail: juergen.plieninger@uni-tuebingen.de