von Sonja Härkönen und Hermann Rösch
Mit der Zukunft der Enzyklopädie beschäftigte sich eine öffentliche Veranstaltung des Fachbereiches Informationswissenschaft der Kölner Fachhochschule und des AKI Rheinland. Mit diesem Thema erfolgte der Auftakt zu einer Veranstaltungsreihe "Kölner Dialog Informationswissenschaft", die am 12. Dezember 2001 begann und in regelmäßigen Abständen Angehörigen verwandter Berufssparten und Fachgebiete ein Gesprächsforum zu diversen Fragen rund um den Informationsprozess bieten soll.
Ursula Georgy, die Dekanin des Fachbereichs, führte mit ihrem Eingangsstatement in die Thematik ein. Sie widmete sich der Problematik, ob Enzyklopädien wirklich Wissen präsentieren können oder nicht eher Informationen bieten und warf die Frage auf, welche medialen Formen die Enzyklopädie in der Zukunft annehmen werde. Der Medien- und Kommunikationswissenschaftler Helmut Volpers (FB Informationswissenschaft, FH Köln) beschrieb in seinem einleitenden Vortrag konzeptionelle Grundlagen von Enzyklopädien und gab einen historischen Abriss der Entwicklung der Enzyklopädie seit Beginn der Neuzeit. So unterschied sich schon die epochemachende "Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers" von Denis Diderot und Jean le Rond d'Alembert (1751-1780) mit der alphabetischen Anordnung der Lemmata von der idealtypischen Konzeption der Enzyklopädie. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand als konkurrierender Typus das Konversationslexikon, das mit engen Schlagwörtern einen punktuellen Zugriff erlaubt, während Enzyklopädien u.a. durch weite Schlagwörter Phänomene im Kontext darstellen. Heutige "Enzyklopädien" entsprechen typologisch eher den Konversationslexika. Bei den Werken von Rang sind Mischformen zu beobachten, die Elemente beider Typen aufweisen und als enzyklopädische Lexika bezeichnet werden können.
Ursprünglich hatte Diderot die Absicht, die in England erschienene Enzyklopädie von Ephraim Chambers ins Französische zu übersetzen, nahm davon aber bald aus verschiedenen Gründen Abstand. Durchaus erfolgreicheVersuche, Enzyklopädien und enzyklopädische Lexika aus anderen Sprachen und kulturellen Bezügen zu übersetzen, hat es immer wieder gegeben. Prominentes Beispiel ist Pierre Bayles "Dictionnaire historique et critique", welches von Luise Adelgunde Victorie Gottsched übersetzt wurde. Als Verfasser allerdings firmierte Johann Christoph Gottsched, was offenbar zu nicht geringen familieninternen Missstimmungen führte. Auch die erste Ausgabe der "Encyclopedia Americana" (1829-1833) etwa ist aus einer Übersetzung hervorgegangen. Grundlage bot die 7. Auflage des Brockhaus Konversationslexikons. Die im Zusammenhang mit Microsoft Encarta als "Globalisierung" und "Lokalisierung" beschriebenen Phänomene sind also keineswegs neu.
Nach dieser historischen Einführung stellten die Chefredakteure des Brockhaus multimedial und der Encarta professional Informationsumfang, Funktionalitäten, Nutzungsoptionen und Angebotsvarianten der aktuellen digitalen Enzyklopädien ihrer Firmen vor. Eberhard Anger, langjähriger Redakteur und Chefredakteur des Brockhaus, präsentierte zunächst den Brockhaus multimedial. Dieser wird 2002 sowohl als CD-ROM- wie auch als DVD-Variante angeboten. Grundlage ist eine 15bändige Printausgabe und nicht etwa die 24bändige Brockhaus Enzyklopädie (20. Auflage 1996-1999). Schon die Preisdifferenz der beiden Printprodukte lässt auf nennenswerte Niveauunterschiede schließen: Der Brockhaus in 15 Bänden: 498,- Euro, Brockhaus, Die Enzyklopädie in 24 Bänden 2796,- Euro. In der digitalen Ausgabe wird der Umfang des Datenmaterials gegenüber der gedruckten Vorlage kontinuierlich erweitert und ständig aktualisiert. Natürlich kommen auch die vielfältigen Formen der multimedialen Datenpräsentation und des Retrievals zum Einsatz, die nur im digitalen Umfeld möglich sind: Zusatzinformationen werden durch Bilder, Tondokumente, Filme, interaktive Panoramen und Karten geliefert. Das sogenannte Wissensnetz (zur Zeit bestehend aus maximal 24 Links) bietet zusätzlich die Chance, Detailinformationen in Kontexte zu rücken.
Michael Hiltl, Chefredakteur der deutschen Encarta, stellte mit Encarta professional 2002, lieferbar alternativ auf vier CD-ROMs oder einer DVD, das Konkurrenzprodukt der Firma Microsoft vor. 1993 erschien die Encarta erstmalig in einer amerikanischen Version, die ursprünglich auf der 29bändigen "Funk & Wagnalls new encyclopedia" beruhte. Drei Jahre später, 1996, kam die erste deutschsprachige Encarta Ausgabe auf den Markt. Neben übersetzten Artikeln waren darin bereits viele speziell auf Kunden aus dem deutschen Kulturkreis zugeschnittene Lemmata enthalten. Dieser Prozess wird als Lokalisierung bezeichnet. Mittlerweile existieren zehn lokalisierte Varianten der Encarta, u.a. für den japanischen, den spanischen und den französischen Kulturraum. Die deutsche Ausgabe wird von der auf Lokalisierung spezialisierten Firma Browne Global Solutions im Auftrag von Microsoft erzeugt. Multimediale Elemente, wie Videos, Animationen, das interaktive Historama, virtuelle Flüge, interaktive Diagramme, Audiodateien sowie Musikclips sind in großer Zahl vorhanden. Ein weiteres essentielles Feature ist der Encarta Weltatlas, der in die Premiumversion integriert ist. Encarta umfasst rein quantitativ – von der Encyclopedia Britannica abgesehen – im Schnitt pro Artikel mehr Informationen als die meisten anderen digitalen Enzyklopädien, verglichen mit den vielbändigen Ausgaben etwa der gedruckten Brockhaus Enzyklopädie (20. Auflage) jedoch immer noch deutlich weniger.
In der abschließenden Podiumsdiskussion, an der neben Herrn Volpers, Herrn Anger und Herrn Hiltl der Informationswissenschaftler Winfried Gödert teilnahm, kam auch das Publikum mit seinen kritischen Fragen zu Wort.
Mittelpunkte der Diskussion bildeten die Fragenkomplexe "Beitrag der Enzyklopädie zum Wissenserwerb heute" sowie "Entwicklungsperspektiven und Trägermedien" von Enzyklopädien. Herr Anger und Herr Hiltl bewiesen im Hinblick auf die wichtigsten Zielgruppen ihrer Nachschlagewerke Einigkeit: besonders für Schüler und Familien werden die digitalen Varianten konzipiert. Folglich muss erstens thematisch ein breites Spektrum abgedeckt und zweitens das Interessenprofil der "ganzen Familie" angesprochen werden. Die Geschäftspolitik des Brockhaus sieht auch zukünftig Printversionen ihrer Enzyklopädien vor, wobei allerdings über eine weitere Ausgabe der 24bändigen Enzyklopädie noch nicht entschieden ist. Die Encarta hingegen zieht eine gedruckte Version ihres Nachschlagewerkes vorerst nicht in Betracht. Auch im Hinblick auf Zahl und Bedeutung kostenpflichtiger Online-Angebote wie z.B. "xipolis" von Brockhaus und anderen waren sich die Firmenvertreter einig: die Zukunft wird eine weitere Expansion dieser Dienste bringen.
Die Veranstaltung wurde von den Beteiligten als Erfolg gewertet. So besteht die Hoffnung, dass die Reihe "Kölner Dialog Informationswissenschaft" bald die Diskussion weiterer Themen ermöglicht. Ein interessantes Ergebnis am Rande: Für die Veranstaltung war in mehreren Fachzeitschriften und zahlreichen Mailinglisten geworben worden. Eine Umfrage unter den Besuchern ergab, dass immerhin 48% über die Mailinglisten auf die Veranstaltung aufmerksam geworden waren, während kein einziger die Ankündigungen in den Fachzeitschriften (darunter auch B.I.T.online) wahrgenommen hatte. In der Reihe "Kölner Arbeitspapiere zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft" sind die Vorträge der Veranstaltung unter dem Titel "Enzyklopädie im Wandel" jüngst publiziert worden. Interessenten wenden sich an den Fachbereich Informationswissenschaft der Fachhochschule Köln.
Sonja Härkönen und Dr. Hermann Rösch
Fachhochschule Köln
Fachbereich Informationswissenschaft
Claudiusstraße 1
D-50678 Köln
E-Mail: hermann.roesch@fh-koeln.de