Editorial
Bibliotheken und die PISA-Studie

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, dieses Heft öffnen, werden Sie, angesichts der Berichte über zahlreiche Stuttgarter Bibliotheken gewahr, daß der diesjährige Bibliothekartag unmittelbar bevorsteht; nicht das ganz große Jahresereignis, sondern die von vielen Bibliothekaren als kleiner Bibliothekartag bezeichnete, in freundschaftlicher Zusammenarbeit von der ASpB veranstaltete Tagung; natürlich überschattet, oder besser überstrahlt von dem diesjährigen Großereignis der 69. IFLA-Konferenz in Berlin; aber außer dieser doch wohl die einzige größere, nationale bibliothekarische Veranstaltung in Deutschland.

Da ist es gut zu sehen, daß nun, 3 Jahre nach Bekanntwerden der internationalen Schulleistungsstudie PISA (Programme for International Student Assessment), bei der die deutschen Schüler (und damit wohl auch das deutsche Bildungssystem) bekanntermaßen so schlecht im OECD-Vergleich abgeschnitten haben, dieses Problem endlich einmal öffentlich auch auf der größten Veranstaltung von deutschen Bibliothekaren auftaucht. Wohl mit einer Stunde zu kurz angesetzt und unglücklich positioniert zu einer Zeit, da die Mitglieder von BIB und VDB sich in ihren Mitgliederversammlungen befinden. Aber immerhin!

Natürlich haben die Verbandsvertreter schon schneller und gleich reagiert und mit Presseerklärungen und Stellungnahmen ihre Forderungen zur Verbesserung der Situation, d.h. vor allem der Lesekompetenz, an die Politiker und öffentlichen Hände gestellt: von der Bundesvereinigung über die Einzelverbände bis hin zu den Kommissionen, sie alle gaben ihre fordernden Erklärungen ab, und gerne griffen danach Politiker und Fachminister die Themen der Leseförderung auf bei ihren Sonntagsreden, aber auch bei den regionalen Bibliothekstagen, die sich bereits mit der Thematik beschäftigten, wie in Niedersachsen, Hessen oder Thüringen. So wird die Verantwortung, auch mit Schuldzuweisungen, hin und her geschoben, ohne daß sich etwas wesentliches ändert.

So lobenswert alle Statements oder die Entwicklung von "10 Thesen der Bibliotheken zu PISA" durch den DBV auch sind, am wirkungsvollsten wird zunächst praktisches Tun sein. Wenn man dann solche Best-Practice-Modelle auf bibliothekarischen Großveranstaltungen demonstrieren kann, wie es die Österreicher in Klagenfurt oder die Schweizer in Aargau getan haben, wird man vielleicht etwas mehr erreichen.

Solche Modelle oder Beispiele müßten nicht gleich aufwendige Projekte sein, sondern könnten auf lokaler Ebene in einer praktizierenden Kooperation zwischen Schulen, Schulbibliotheken, Öffentlichen und Wissenschaftichen Bibliotheken bestehen, die beispielgebend zu einem Netzwerk führen und so verstärkt die Kinder aus dem Kindergarten in die Kinderbibliotheken führen, die Hauptschüler in die Jugendbibliothek, die Schüler der Sekundarstufe, die oftmals von der Zugänglichkeit einer Universitätsbibliothek gar nichts wissen, in die Wissenschaftliche Bibliothek usw.

Neben solcher Praxisdarstellung ist sicherlich als übergeordnete und flankierende Maßnahme die Einbindung solcher lokaler Vernetzungen in das Projekt "Bibliothek2007" geplant. Auch paßt es ausgezeichnet zu den Zielen des in der Diskussion befindlichen "Kompetenznetzwerk für Bibliotheken", denn Bibliotheken müssen zunehmend zusammenarbeiten; dies ist ein Motor der Innovation steht in den Zielvorgaben des DBV-Vorsitzenden. Aber das alles sind Überlegungen für die Zukunft, die sich hoffentlich aus der Diskussion beim kommenden "kleinen" Bibliothekartag entwickeln lassen.

Aber PISA ist nun ein Anliegen des Bibliothekartages und nicht dieses Heftes. Hier werden Ihnen zunächst einige Bibliotheken des Veranstaltungsortes vorgestellt. Dazu natürlich, wie immer, substantielle Fachbeiträge, diesmal zum Thema Kundenzufriedenheit mit Bibliotheken nach einer INFAS-Umfrage von Sebastian Mundt und Stefan Guschker, und zu den Möglichkeiten der Kompression von Multimediadaten von Aljoscha Smolic. Daneben finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, Veranstaltungsberichte, Interviews und weitere nützliche Informationen, so hofft wenigstens

Ihr Dr. Rolf Fuhlrott
Chefredakteur