Editorial
IFLA Berlin 2003 im Rückblick

Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Johannes Rau fand Anfang August in Berlin, zum ersten Mal im wiedervereinigten Deutschland, die 69. IFLA-Generalkonferenz und Ratsversammlung im vereinten Deutschland statt. Sie stand unter dem Generalthema ­ Access Point Library: Media ­ Information ­ Culture, das heißt die Bibliothek fungiert als Portal, Tor, Türe und Zugang zu den Medien der Information und der Kultur. Das Portal bietet den Blick in die Zukunft, aber auch in die Vergangenheit, wie dies der Präsident des Nationalen Organisationskomitees, Dr. Georg Ruppelt, in seinem Grußwort zum Ausdruck brachte. Christine Deschamps, IFLA-Präsidentin von 1997-2003, betonte bei der Eröffnung des Kongresses, dass die TeilnehmerInnen die Tage in Berlin genießen und zugleich fruchtbare berufliche Ergebnisse erhalten mögen. Eine gewisse Wehmut lag in ihren Worten, denn mit diesem Kongress fand ihr Präsidium seinen ­ sehr erfolgreichen ­ Abschluss. Die Eröffnungsrede hielt Klaus Gerhard Saur, Präsident und Geschäftsführer des K.G.Saur-Verlags. Er sprach zum Thema "Bibliothek und Verlage ­ eine Partnerschaft?". Sein Schlusssatz war Aufforderung an uns alle, die wir in der Informationsbranche tätig sind: "Sowohl die Bibliotheken wie die Verlage stehen vor ungeheuren Herausforderungen.

Die technischen Möglichkeiten und Probleme nehmen überproportional zu, die finanziellen Mittel werden immer geringer. Um die Zukunft zu überstehen, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen und intensiver Zusammenarbeit beider Bereiche. Die IFLA und dieser internationale Bibliothekskongress in Berlin bieten eine hervorragende Voraussetzung dazu."

Moderator der Eröffnungsveranstaltung war Ranga Yogeshwar, deutscher TV-Moderator, Wissenschaftsjournalist und Enkel des indischen Philosophen und Bibliothekars Ranganathan.

Der Weltkongress 2003 wurde von 4563 TeilnehmerInnen aus 133 Ländern besucht. Noch nie zuvor sind so viele BibliothekarInnen und Informationsfachleute aus allen Kontinenten der Einladung zum Weltkongress gefolgt. Er wartete mit einem reichen Informationsangebot auf, das an den Abenden durch schöne, ausgezeichnet besuchte gesellschaftliche Veranstaltungen ergänzt wurde, bei denen es Zeit zu interessanten Fachgesprächen und neuen Kontakten gab.

Das Internationale Congress Center (ICC) bei der U-Bahnstation Kaiserdamm bot für die vielen Parallelveranstaltungen mit den 500 Vortragenden zu 44 Themenkreisen und 26 Workshops, für die ausgezeichneten Poster-Sitzungen, für die 160 Aussteller mit ihren sorgfältig sortierten Ständen und für die 40 Firmenpräsentationen ein hervorragendes Ambiente.

Vor und nach dem Kongress fanden außerdem zwölf Satellitentreffen statt, die nicht nur in mehreren Städten Deutschlands, sondern auch in der Tschechischen Republik, Großbritannien, Frankreich, der Schweiz, Österreich und den Niederlanden abgehalten wurden. Diese Treffen befassten sich mit Spezial- und Schwerpunktthemen wie Blindenbibliotheken (Marburg/ Lahn), Frauenfragen (Berlin), Management und Marketing (Wien), Bibliotheksdienste für multikulturelle Bevölkerungsgruppen (Utrecht), Statistik und Evaluation + Bibliothekstheorie und -forschung (Durham City), Bibliotheken und wissenschaftliche Dienste für Parlamente (Prag), Informationstechnik (Göttingen), Bibliotheksbau und -einrichtung (Paris).

Der Kongress in Berlin war vom nationalen Organisationskomitee ausgezeichnet vorbereitet und begleitet, auch jeder individuelle Wunsch wurde entgegengenommen und von einer/m der ca. 200 ehrenamtlichen HelferInnen erfüllt. Von den großen Berliner Bibliotheken wurden laufend Führungen sehr flexibel angeboten, denn wenn man einen Termin versäumt hatte, konnte man einen anderen wahrnehmen. Täglich erschien der IFLA-Express in deutscher, englischer, französischer und spanischer Sprache und informierte tagesaktuell.

Höhepunkte im Programm waren verschiedene Gastvorträge: Adama Samassékou, Generalsekretär des Vorbereitungskomitees des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft, sprach unter dem Vorsitz der neuen IFLA-Präsidentin 2003-2005, Kay Raseroka, Botswana, zum Thema "Der Weltgipfel zur Informationsgesellschaft ­ ein erster Schritt zu einer Gesellschaft der gemeinsamen Teilhabe von Wissen und Kenntnissen".

Hervorgehoben wurde, dass die internationale Gemeinschaft aufgerufen ist, gemeinsam einen Weg ins Informationszeitalter zu finden und die aufbrechenden digitalen Gräben zu überwinden.

Dabei gilt es die kulturelle Vielfalt sowie lokale Inhalte mit verschiedenen regulierenden und institutionellen Rahmenbedingungen zu beachten. Angestrebt wird ein konkreter Aktionsplan, in dem auch ein Evaluationsmechanismus eingebaut ist. Jeanette Hofmann referierte über "Globalisierung und Demokratie".

Rainer Kuhlen zeigte in seinem Vortrag "Paradigmenwechsel im Wissensmanagement ­ Rahmenbedingungen für eine kollaborative Wissensproduktion", dass Wissensmanagement zunehmend als entscheidend für Erfolg einer jeden Organisation angesehen wird, gleichermaßen um Wissen aus externen Ressourcen einzubinden, eigene Datenbestände effizienter auszunutzen und nicht zuletzt um implizit vorhandenes Wissen der Mitarbeiter explizit und objektivierbar zu machen. Es entwickelt sich ein Paradigmenwechsel vom eher statischen, verwaltenden zum dynamischen, kommunikativen Wissensmanagement.

Einen besonderen Reiz hatte die "Märchenstunde der Gebrüder Grimm" mit Sabine Lutkat im Dachgarten des ICC, dazu gab es kleine Ausstellungen aus dem Gebrüder Grimm Museum in Kassel und von der Internationalen Gesellschaft der Gebrüder Grimm.

Als sehr angenehm empfanden die TeilnehmerInnen die Tagungsrucksäcke und -taschen, die Plastik-Eintrittskarten, die zur Nutzung der gut organisierten Internet-Cafés berechtigten, aber auch für den öffentlichen Verkehr gültig waren und als Visitenkarte von Firmen gespeichert werden konnten, sowie das handliche Kurzprogramm, das ­ in einer Plastikfolie zum Umhängen ­ allseits Anerkennung fand. Natürlich muss es auch etwas geben, womit TeilnehmerInnen ihre liebe Not hatten: das Speiseangebot im ICC war bescheiden, dafür teuer, die Auffindbarkeit von Vortragsräumen und Firmenständen war immer wieder von Irrwegen begleitet, doch die sprichwörtliche Auskunftsfreudigkeit der Bibliothekar-Innen (nicht nur an den Informationsschaltern) half hier bestens weiter.

Zur 2. Ratsversammlung wurden acht Resolutionen eingebracht, die außer einer Resolution zur Satzung der IFLA folgende Themen umfassten: UN-Weltgipfel für die Informationsgesellschaft, Nationale Sicherheitsgesetze, Informationsbedürfnisse für Frauen und vier Resolutionen zu Fragen der Bibliotheken im Irak.

Die Schlussveranstaltung, die von Klaus-Dieter Lehmann ausgezeichnet moderiert wurde, brachte einen Leistungsüberblick der langjährigen Präsidentin Christine Deschamps, die verdienstvollen Präsidiumsmitglieder wurden geehrt und mit Auszeichnungen bedankt, ebenso erhielten die IFLA-Präsidenten der früheren Jahre Ehrenzeichen der IFLA. Ein besonderer Dank galt natürlich Barbara Schleihagen, der Generalsekretärin der IFLA 2003-Berlin (c/o Staatsbibliothek zu Berlin, Potsdamer Straße). Sie hat mit der Ausrichtung dieses Kongresses eine hervorragende Leistung erbracht.

Die nächsten IFLA-Weltkongresse werden in den kommenden fünf Jahren
in folgenden Ländern abgehalten:

World Library and Information Congress:
70th IFLA General Conference and Council
Buenos Aires, Argentina, August 22-27, 2004

World Library and Information Congress:
71st IFLA General Conference and Council
Oslo, Norway, August 14-18, 2005

World Library and Information Congress:
72nd IFLA General Conference and Council
Seoul, Republic of Korea, 2006

World Library and Information Congress:
73rd IFLA General Conference and Council
Durban, South Africa, 2007

World Library and Information Congress:
74th IFLA General Conference and Council
Quebec, Canada, 2008

Für Buenos Aires und Oslo wurden in Berlin schon zahlreiche Werbeveranstaltungen geboten, die zeigen, wie viele Vorbereitungen für die nächsten Weltkongresse bereits getätigt werden, die unter dem Präsidium von Frau Kay Raseroka, Botswana abgehalten werden. In den nächsten beiden Jahren wird sich die neue Präsidentin schwerpunktmäßig dem Themenbereich "Bibliotheken für lebensbegleitendes Lernen" widmen.

Hofrätin Dr. Sigrid Reinitzer
Mitherausgeberin