Die Lernende Bibliothek - La Biblioteca Apprende
Eine internationale Fachtagung in Bozen setzt Zeichen

von Jürgen Seefeldt

Rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Italien, Österreich, Deutschland und der Schweiz fanden sich vom 17. bis 19.9.2003 zur internationalen Fachtagung "Die Lernende Bibliothek / La biblioteca apprende - Fortbildung und Innovationsmanagment in Bibliotheken und Bibliothekssystemen" im spätsommerlich milden Bozen (Südtirol) ein. Eingeladen hatten die Universitätsbibliothek Bozen, das Amt für Bibliothekswesen in Südtirol sowie sieben bibliothekarische Verbände aus vier Ländern, die sich ein Jahr zuvor in Klagenfurt per Vertrag zur stärkeren Kooperation verpflichtet hatten, nämlich der Bibliotheksverband Südtirol (bvs), die Sektion Trentino-Südtirol des Italienischen Bibliotheksverbandes (AIB), der Büchereiverband Österreichs (BVÖ), die Vereinigung österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VBÖ), der Berufsverband Information Bibliothek (BIB), der Verein Deutscher Bibliothekare (VDB) und der Verband der Bibliotheken und der Bibliothekarinnen / Bibliothekare der Schweiz (BBS).

Als Austragungsort bot Bozen den optimalen Rahmen für eine solch grenzen- und spartenüberschreitende Tagung von Bibliotheksfachleuten, die sich mit einer zukunftsweisenden Thematik - zweisprachig mit simultaner Übersetzung - auseinandersetzen wollten. Das kompakte Programm als Mischung aus gegenseitigem Kennenlernen, Darstellung der Ist-Situation sowie der gegenwärtigen Probleme und Planungen brachte eine Fülle aktueller Informationen und Denkanstöße, angereichert durch angeregte Diskussionen innerhalb und außerhalb des Konferenzsaals im modernen Pastoralzentrum. Vor allem standen Best-Practice-Beispiele im Zentrum der visuell anschaulich aufbereiteten Vorträge. Alle Referate stehen im Übrigen ab Anfang Oktober unter der Web-Adresse http://www.unibz.it/learninglibrary für alle Interessierten einseh- und abrufbar zur Verfügung.

Mit seinem Eröffnungsvortrag "Fit for fun or fit for the future - Bildung in der Spaßgesellschaft / Aggiornarsi al tempo del Grande Fratello" setzte Hans Marte, Generaldirektor i.R. der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien), der modernen westlichen Gesellschaft einen Spiegel vor und unterstrich fakten- und zitatenreich, welch entscheidender Faktor - trotz aller Fun-Mentalität - Bildungsförderung darstellt, um dem Menschen sinnhafte Zukunftschancen zu eröffnen.

Vier kompetent moderierte Themenkreise umrissen an zwei Tagen das vielfältige Spektrum der "Lernenden Bibliothek". In Themenkreis 1 "Fortbildung in Bibliotheken - Ziele, Konzepte, Programme" kamen Volker Klotz und Verena Pernthaler (Amt für Bibliothekswesen, Bozen) einführend zu Wort und beschrieben das gut strukturierte Fortbildungskonzept der Südtiroler Fachstelle als Teil ihres neuen Bibliotheksentwicklungsplans. Mit welchen Problemen ein noch immer nur rudimentär vorhandenes Aus- und Fortbildungswesen im übrigen Italien zu kämpfen hat, beschrieb Alessandro Bertoni (Universitätsbibliothek Venedig). Einen erfreulichen Entwicklungsstand in Sachen Weiterbildungskonzeption konnte Petra Hätscher (Universitätsbibliothek Konstanz) vortragen; ihre Bibliothek hat in den letzten fünf Jahren ein sinnvolles Veranstaltungsnetzwerk mit unterschiedlichen Themen, Mitarbeiterzielgruppen und Methoden aufgebaut, das vor allem die Verbesserung der innerbetrieblichen Kommunikation und die Transparenz der Aufgaben im Blickfeld hat.

Themenkreis 2 setzte sich mit den "Inhalten, Themen und Angeboten der Fortbildung in Bibliotheken und Systemen" auseinander. Jürgen Seefeldt (Landesbüchereistelle Rheinland-Pfalz, Koblenz) stellte das mit jährlich rund 250 Veranstaltungen umfangreiche Fortbildungsangebot der Staatlichen Büchereistellen und Büchereizentralen in Deutschland als "Lernende Fachstellen" vor; er nannte anhand einer aktuellen bundesweiten Umfrage konkretes Themen- und Datenmaterial und forderte von allen Anbietern bibliotheksrelevanter Fortbildung eine größere Nachhaltigkeit durch mehrstufige Kurse, eine bessere Strukturierung, die Veröffentlichung auf einer zentralen Datenbank und eine breit anerkannte Zertifizierung. Antonella Agnoli (Öffentliche Bibliothek Pesaro) umriss im Rahmen ihres Leitbilds einer modernen Bibliothek Art und Umfang zeitgemäßer Fortbildungsgänge zum Nutzen von Bibliothekspersonal und -kunden. Gerald Leitner (Österreicher Büchereiverband, Wien) benannte nicht nur die Defizite der öffentlichen Literatur- und Informationsversorgung in Österreich, die durch den kürzlichen Wegfall aller Bibliotheksfachstellen des Bundes nicht geringer geworden sind, sondern wies auch auf wichtige Aspekte des Fortschritts beim Ausbau verbesserter Fortbildungsmaßnahmen für Bibliothekskräfte hin.

Themenkreis 3 widmete sich den neuen "Formen, Methoden und Modellen im Fortbildungsbereich". Für Wissenschaftliche Bibliotheken in Österreich konnte Helga Zotter-Straka (Universitätsbibliothek Graz) innovative Neuansätze und erneuerte Studiengänge und Fortbildungskurse vorstellen, die internationalen Standards genügen müssen. Dass Schulbibliotheken stärker ins Bewusstsein der italienischen Bildungspolitik zu rücken beginnen und zeitgemäße Qualifizierungsangebote für Schulbibliothekare erfordern, belegte Donatella Lombello (Universität Padua) mit ihren Ausführungen und Kursbeispielen. Welche Erfolge das e-Learning-Angebot von ekz und Bertelsmann Stiftung zu vermelden hat - mehr als 4.000 Nutzer haben bisher teilgenommen - , konnte Angelika Holderried (ekz, Reutlingen) vortragen: Sechs Online-Selbstlernkurse für das Personal von Öffentlichen Bibliotheken setzen neue methodische Akzente, ergänzen den klassischen Fortbildungskanon und zeigen auf, auf welch kreative Weise inkl. Zertifizierung persönliches lebenslanges Lernen zukünftig stärker ablaufen wird.

Im Themenkreis 4 kam abschließend der Veränderungsprozess schlechthin zur Sprache, wie er mittels eines modernen "Innovationsmanagements" be- und gefördert werden kann. Wolfram Neubauer (Eidgenossische Technische Hochschule Zürich) erläuterte, weshalb gerade jetzt angesichts drastisch veränderter Rahmenbedingungen und schwindender Ressourcen Veränderung einsetzen muss und wie, trotz vieler Schwierigkeiten und Bremsmanöver, die Umgestaltung erfolgreich gesteuert werden sollte; das Schweizer Bibliothekswesen, so sein Resümee, habe allerdings trotz positiver Voraussetzungen noch wenige Erneuerungen eingeleitet. Ein anschauliches Praxisbeispiel zur Neukonzeption einer neu erbauten Großstadtbibliothek gab Alfred Pfoser (Städtische Büchereien Wien), der den spektakulären Bau der 2003 eröffneten Hauptbibliothek (zwischen zwei Stadtautobahnen und oberhalb einer U-Bahn-Station) in Text und Bild vorstellte. Er wies darauf hin, dass Gebäude-, Raum-, Personal- und Organisationsplanung ein mehrjähriger Prozess sind, der nur durch eine intensive innerbetriebliche Kommunikation erfolgreich bewältigt werden kann. Klaus Kempf (Bayerische Staatsbibliothek, München) verdeutlichte, welche Maßnahmen erforderlich sind, um eine komplexe Universalbibliothek wie die 500 Mitarbeiter starke BSB auf dem Wege zu einer "Hybrid-Bibliothek" umzuorganisieren. Matrixstrukturen, die Hierarchien verringern helfen, Transparenz erzeugen und Kommunikationswege verkürzen, sind wichtige Neuansätze im Veränderungsprozess großer Systeme.

Im zusammenwachsenden Europa, wo digitale Informationen und ihre Beschaffung längst grenzenlos geworden sind, müssen grenz- und spartenüberwindende thematische Fachtagungen solcher Qualität zum künftigen Standard gehören. Bozen mit seiner "Lernenden Bibliothek" hat in jeder Hinsicht Zeichen gesetzt. Es bleibt zu wünschen, dass die Konferenz bei allen Verantwortlichen und Finanzgebern genügend Potential und Motivation freigesetzt hat, um eine Fortsetzung sicherzustellen und als Startsignal für eine Reihe dienen kann. Als Tagungsort und Motor der Bewegung sollten die vier Hauptveranstalter in Bozen selbstbewusst und zukunftsorientiert zum Gewinn für alle ihre koordinierende Rolle beibehalten.

Das "Pastoralzentrum" neben dem Dom in Bozen bot für die rund 150 Teilnehmer einen optimalen Tagungsort.


Zum Autor

Jürgen Seefeldt ist Leiter der

Landesbüchereistelle Rheinland-Pfalz
Eltzerhofstraße 6a
D-56068 Koblenz
E-Mail: seefeldt@landesbuechereistelle.de