Guillaume de Laubier und Jacques Bosser:
Die schönsten Bibliotheken der Welt
Aus dem Franz. von Bettina Blumenberg

- München: Knesebeck, 2003. - 248 S. : überw. Ill.
ISBN 3-89660-180-6. - Euro 49,90

Eigentlich gehört diese Rezension gar nicht in eine Zeitschrift wie B.I.T.online. Von Bits und Bites, von Computern und Flachbildschirmen, von Datenbanken und Online-Angeboten, wie sie in heutigen Bibliotheken allgegenwärtig sind, ist in dem prachtvollen Bildband mit dem schwungvollen Titel "Die schönsten Bibliotheken der Welt" (von einer fast verschämt plazierten Ausnahme abgesehen) nichts, aber auch rein gar nichts zu sehen. Offenbar gehören nicht nur unförmige Bildschirme nicht zum ästhetischen Konzept der Autoren, es werden sogar auch alle diejenigen Bibliotheksarchitekten verbannt, deren Geburtsdatum nach 1900 liegt. Vielbeachtete Bauten wie der Neubau der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden durch die Architekten Ortner & Ortner, der Neubau der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe von Oswald Mathias Ungers, aber auch der nun seit 25 Jahren bestehende Bau der Berliner Staatsbibliothek von Hans Scharoun finden in das Werk keine Aufnahme. Auch die von zwei wichtigen deutschen Fotokünstlern, Candida Höfer und Andreas Gursky, unabhängig voneinander fotografierte Stadtbibliothek in Stockholm ist nicht mit von der Partie, ebenso wenig solch spektakuläre Gebäude wie Mitterands Bibliothèque Nationale de Paris oder der Neubau der British Library von Sir Colin St John Wilson. Auch keine der von Sir Norman Foster entworfenen Bibliotheken ist vertreten, ebenso wenig die gerade eröffnete Bibliotheca Alexandrina der norwegischen Architekten Snøhetta.

Trotzdem ist davon auszugehen, dass der B.I.T.online lesende Bibliothekar von heute auch dem Altehrwürdigen und Schönen nicht abhold ist - und dies ist auch genau der Ansatz, den die Autoren gewählt haben. Der Journalist Jacques Bosser schreibt als Architekturhistoriker unter anderem für den Architectural Digest und Connaissance des Arts und hat zu kunsthistorischen Nachschlagewerken beigetragen; Guillaume de Laubier ist laut Verlagsangaben "einer der führenden Inneneinrichtungs-Fotografen" und arbeitet u.a. für den AD, ELLE Décoration sowie Madame Figaro.

Bosser und de Laubier wählten 23 Bibliotheken aus zwölf Ländern für ihren Bildband, wobei die "Welt" sich überwiegend auf "Old Europe" beschränkt, lediglich St. Petersburg und drei Bibliotheken aus den Vereinigten Staaten dürfen sich einreihen. Überraschend ist, dass die prachtvolle Biblioteca Laurenziana in Florenz, die von Lorenzo de Medici gegründet und keinem geringeren als Michelangelo entworfen wurde, nicht aufgenommen wurde - doch natürlich ließe sich die Liste noch erheblich ausweiten (manch einer hätte sicher auch eine freilich weniger prunkvolle, doch nicht minder beeindruckende mittelalterliche Pult- oder Kettenbibliothek gerne gesehen).

Aus Deutschland sind vertreten die Bibliothek des Kloster Wiblingen (Ulm), jene der Benediktinerabtei Metten und die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, letztere mit einem instruktiven Essay über das Wirken Goethes als Bibliothekar. Der thematische Bogen spannt sich insgesamt von barockisierten Klosterbibliotheken, herrschaftlichen Adelsbibliotheken, großzügig ausgestatteten Privatbibliotheken, einem kleinen Kreis vorbehaltenen Spezialsammlungen, traditionsreichen Universitätsbibliotheken bis hin zu bedeutenden Nationalbibliotheken und bietet somit auch kulturgeschichtlich viel Abwechslung. Jeder Bibliothek sind im Schnitt acht bis zwölf Seiten gewidmet, wobei etwas irritierend ist, dass die "Kapitel" zwar mit dem Namen und Ort auf der Rectoseite beginnen, die vorhergehende linke Buchseite aber bereits für Illustrationen der erst einsetzenden Bibliotheksbeschreibung genutzt werden.

Der Schwerpunkt der großformatigen Fotographien liegt auf der Darstellung der Bibliotheksinnenräume und architektonischer Details wie Büsten, Deckenfresken und arrangierter Stilleben mit aufgeschlagenem Buch. In den seltensten Fällen wird das Bibliotheksgebäude von außen gezeigt, und wenn, dann lediglich im Kleinformat. Wahrlich überwältigend sind die aufklappbaren Großansichten (82,5 x 28,5 cm!) von prachtvollen Lesesälen, so z.B. der Biblioteca Apostolica Vaticana, wobei hier indes gar keine Bücher zu entdecken sind, da sie in Schränken verschlossen bleiben - teilweise im wahrsten Sinne des Wortes. Die Bibliothek des Vatikan ist eine der wenigen, die in den ausführlichen Begleittexten von ihrer Benutzungssituation her kritisch beleuchtet werden. Diese auch für den Laien sehr gut verständlichen und informativen Texte machen aus dem Band, der zeitgleich in französischer, englischer und deutscher Ausgabe erschienen ist, weit mehr als ein coffeetable-Buch. Meist erfährt man allerdings eher etwas zur Bau- und Entstehungsgeschichte der Bibliothek, zu Stuckateuren und Deckenmalern - es wird rasch deutlich, dass das Hauptinteresse der Autoren auf der Darstellung der architektonischen Pracht und weniger auf bibliothekarischen Fragen liegt. Häufig wird allerdings die Bestandsentwicklung kurz beleuchtet, mitunter werden auch einzelne Zimelien aufgeführt (im Wort, selten im Bild), in einigen Fällen wird zur heutigen Benutzungssituation etwas angemerkt - sofern die Bibliotheken heute überhaupt noch als solche fungieren. Da manche Räume nur eingeschränkt besichtigt werden können, steigt der Wert des Bildbandes als Ersatz für eine eigene Inaugenscheinnahme sogleich noch einmal. Menschen tauchen übrigens fast nie auf den Fotos auf, und wenn, dann in akademischem Ornat, was dem Band eine gewisse Zeitlosigkeit verleiht und dem Eintauchen in die Atmosphäre der historischen Hallen förderlich ist.

Ganz am Schluss wird auch der B.I.T.online-Leser wieder von der Wirklichkeit eingeholt: in einem nützlichen Adressenverzeichnis wird bei allem Verzicht auf die Abbildung moderner Infrastruktur immerhin eines angeben, was man über die Betrachtung schon fast vergessen hatte: die URLs der vorgestellten Bibliotheken (wahrscheinlich nicht alle so zeitlos...). - Schließlich: Wenn den B.I.T.online-Leser einmal die Ungemach ob der heutigen Probleme mit Spammails, ausfallenden Servern und Datenchaos überkommen sollte, so setze er sich mit einem coffee an einen table und lasse sich verführen zu einem ganz klein wenig Stolz, einem Berufsstand anzugehören, dem solch phantastische Gehäuse zuteil werden durften.


Anschrift der Rezensentin

Dr. Ulrike Hollender
Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
Potsdamer Straße 33
D-10785 Berlin
E-Mail: ulrike.hollender@sbb.spk-berlin.de