Uwe M. Borghoff / Peter Rödig / Jan Scheffczyk / Lothar Schmitz:
Langzeitarchivierung - Methoden zur Erhaltung digitaler Dokumente

- Heidelberg: dpunkt.verlag 2003. 304 S.
ISBN 3-89864-245-3. Euro 45,00

Der dpunkt.verlag stellt Bücher, Zeitschriften und Online-Publikationen für den Informationsmarkt bereit. Wesentliche Elemente des Verlagsprogramms sind die Themenkomplexe Computertechnologie und Kommunikationstechnik mit den Schwerpunkten Internet, Software-Entwicklung, Datenbanken und Informationssysteme. Im Verlagsprofil sind Bücher zu XML, Datenbanken, Datenmodellierung, Information Retrieval oder Web-Engineering zu finden. Genannt sei auch Digitale Bibliotheken. Informatik - Lösungen für globale Wissensmärkte von Albert Endres und Dieter W. Fellner, das bereits im September 2000 im dpunkt-Verlag unter der ISBN 3-93258-877-0 erschienen ist. Durch den Verlag werden somit Veröffentlichungen angeboten, die aktuelle DV-technische Entwicklungen aufgreifen und damit auch für moderne Bibliotheken von Interesse sind. Mit dem vorliegenden Werk zur Langzeitarchivierung von Uwe M. Borghoff et al. wird ebenfalls ein wichtiges Themenfeld aufgegriffen, das in Zusammenhang mit digitalen Bibliotheken steht. Dies erfolgt jedoch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Weiterentwicklung digitaler Bibliotheken durch Einsatz neuer Technologien, sondern unter dem Aspekt der Nutzung veraltender Technik.

Die grundlegende Gefahr, die sich aus einem fehlenden Konzept zur Langzeitarchivierung digitaler Dokumente ergibt, wird im Geleitwort durch Herrn Dr. Hermann Leskien, Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek, unmissverständlich herausgestellt: "Die Menschheit ist im digitalen Zeitalter im Begriff, ihre historische Dimension zu verlieren." Das Buch liefert im Vorwort einen ausführlichen Überblick über die folgenden zehn Kapitel. Jedem Kapitel ist wiederum eine kurze inhaltliche Zusammenfassung vorangestellt. Die Kolumnentitel ebenso wie die Marginalien erleichtern dem Leser das schnelle Auffinden von Sachbereichen, Themen oder Definitionen. Anzahl und Umfang der Fußnoten ebenso wie der Umfang der Abbildungen und Tabellen bleiben überschaubar. Grundlegende Aussagen, prägnante Beispiele oder Gegenüberstellungen von Vor- und Nachteilen werden in Form von Auflistungen mit Spiegelstrichen herausgestellt. Definitionen werden eingeschoben und als Erklärung im Text eingebaut. Das Buch ist damit jedoch kein Nachschlagewerk, auch wenn es als Kompendium zur Langzeitarchivierung verstanden werden kann.

Das Buch gliedert sich in die zwei Segmente Methodischer Überblick und Einschlägige Initiativen und Projekte. Im Methodischen Überblick werden vorstellt

  1. die Open Archives Initiative (OAI), die Standards für den Austausch von Informationen zwischen elektronischen Archiven entwickeln will
  2. sowie das Open Archival Information System Reference Modell (OAIS-Referenzmodell), das einen ISO-Standard zur Langzeitarchivierung elektronischer Publikationen beinhaltet.

Ein technischer Ansatz zur Langzeitarchivierung ist Migration, die in dem Buch als "periodischer Transfer digitalen Materials von einer Hard-/Softwarekonfiguration zu einer anderen Konfiguration" definiert wird. Mit der Einrichtung eines Hardware-Museums, in dem elektronische Dokumente in ihrer "ursprünglichen Umgebung" betrachtet werden können, wird ein zweiter Ansatz vorgestellt. Dieser stößt jedoch aufgrund der steigenden Anzahl von Hard- und Software-Komponenten auf Grenzen. Daraus abgeleitet ergibt sich die Überlegung, die Funktionsweise von veralteter und nicht mehr funktionsfähiger Hardware durch Software zu simulieren. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob dieser Ansatz einer sogenannten Emulation mittels einer Beschreibungssprache die breite Palette von Hardware abdecken kann. Chancen und Risiken, die mit den Ansätzen einer Migration und einer Emulation verbunden sind, werden jeweils am Ende der Kapitel gegenübergestellt.

Das Kapitel Dokumentenbeschreibung beinhaltet die Beschreibung von Dokumenten durch Auszeichnung mit Metadaten. Umfangreicher ist das Kapitel Standardisierte Dokumentenbeschreibungs-Sprachen, in dem unterschiedliche Formate (TIFF, PDF, HTML, XML) sowie das Semantic Web mit seinen Elementen Resource Description Framework (RDF) und Topic Maps erläutert werden.

Im zweiten Teil des Buches Einschlägige Initiativen und Projekte sind die Kapitel Migration in der Praxis und Emulation in der Praxis zu finden. Wie die Überschriften bereits vermuten lassen, werden konkrete Projekte, u.a. ein DFG-Projekt, vorgestellt. Damit wird auch der unmittelbare Praxisbezug des Werkes deutlich, da es sich um ein Projekt handelt, in das die Autoren eingebunden waren. Dies Projekt zur Datenbankmigration nimmt gegenüber den anderen Projekten, dem VERS-Projekt der Archivierungsbehörde des australischen Bundesstaates Victoria, dem Projekt Preserving the Whole der Universität Yale und dem Projekt Risk Management of Digital Information der Cornell University Library, breiten Raum ein. In dem Kapitel Emulation in der Praxis werden Experimente und Studien vorgestellt, so z.B. ein Experiment der Nationalbibliothek der Niederlande, in dem die Brauchbarkeit des Emulationsansatzes zur Erhaltung digitaler Publikationen nachgewiesen werden sollte.

Im Umfeld der im Buch zusammengestellten Projekte und Initiativen gibt es noch weitere Arbeiten zur Langzeitarchivierung. Hingewiesen sei an dieser Stelle auf

Von den nationalen Aktivitäten sei auf Workshops der Deutschen Bibliothek (Oktober und November 2002) hingewiesen, auf denen u.a. erste Überlegungen zum Aufbau einer nationalen Kooperationsplattform angestellt wurden. Eine Initiativgruppe Langzeitarchivierung, der u.a. die Deutsche Bibliothek, die UB der Humboldt-Universität zu Berlin, die SuB Göttingen und die Bayerische Staatsbibliothek angehören, will Konzepte zum Aufbau eines derartigen Kompetenznetzwerks für Deutschland erarbeiten.

Diese Auswahl von Projekten und Initiativen greift Problemstellungen auf, die im Rahmen der Langzeitarchivierung zu bearbeiten sind. Strategien zur Digitalisierung von analogem Archivgut oder Aufbau von Strukturen über verteilte Verantwortung, d.h. Zuordnung von Verantwortungen unterschiedlicher Institutionen, sind weitere Themenkomplexe, die zum Problemfeld Langzeitarchivierung gehören. Langzeitarchivierung setzt am Beginn der Produktionskette digitaler Dokumente an, also beispielsweise mit einer Unterstützung der Autoren beim Schreiben von Publikationen und der Verwendung medienneutraler Dokumentkonzepte. Dies, ebenso wie ein Konzept zur Zusammenarbeit zwischen Institutionen (Pflichtexemplarbibliotheken, Archive mit gesetzlichem Auftrag, SSG-Bibliotheken, fachbezogenen Kooperationsmöglichkeiten mit Produzenten wissenschaftlicher Informationen, Fachgesellschaften und Fachverlagen usw.), würde sicherlich den Rahmen des Buches sprengen, zeigt jedoch die Vielschichtigkeit der in Zukunft noch zu klärenden Problemthemen auf.

In dem zweiten Teil des Buches wird ebenfalls auch der Ansatz Universal Virtual Computer vorgestellt, mit dessen Hilfe die Risiken von Migration und Emulation zu umgehen versucht werden. Das Buch endet mit diesem Unterkapitel leider völlig unvermittelt und überraschend. Die Fragen Was wir wissen und Was zu klären bleibt sowie der von den Autoren entwickelte Lösungsvorschlag Ein kombinierter Ansatz wurden bereits drei Kapitel früher aufgeführt, und damit ein Abschluss des Buches bereits an dieser Stelle vorweggenommen. Ebenfalls in Kapitel 7 (Seite 139) findet sich der Satz "Angesichts der Tatsache, dass die gesamte Entwicklung elektronischer Rechenanlagen innerhalb der letzten 60 Jahre stattgefunden hat, erscheinen konkrete Prognosen und Pläne für einen längeren Zeitraum zumindest gewagt". Dieser technikgeschichtliche Ansatz greift einerseits ein wenig zu kurz, da die Ursprünge zur Entwicklung des modernen Computers länger zurückreichen. Andererseits sind Prognosen einer zukünftigen Entwicklung - auch von DV-technischen Entwicklungen - sicherlich generell schwer zu treffen und nicht zwangsläufig mit zurückliegenden Ereignissen in Verbindung zu setzen.

Wie eingangs bereits festgestellt, richtet sich das Buch an Bibliothekare, Archivare und Dokumentare. Das Problem einer zukünftigen Archivierung digitaler Dokumente betrifft jedoch auch Unternehmen und Behörden, die über digitale Archive vielfältige Dokumenttypen in unterschiedlicher Form bereitstellen. Das vorliegende Kompendium bearbeitet Fragen einer Langzeitarchivierung digitaler Dokumente; es fordert zur Zusammenarbeit und Lösungserarbeitung über die genannten Personen und Institutionen hinausgehend zwischen Politikern, Juristen sowie Informatikern auf. Die Autoren, die an der Universität der Bundeswehr München tätig sind und deren biographische Daten nebst E-Mail-Adressen im vorderen Teil des Buches zu finden sind, wenden sich damit an eine breite Leserschaft.


Anschrift des Rezensenten

Dipl.-Ing. Dieter Schwartz
Fachhochschule Münster
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