Editorial
Sicherheit und Bibliotheksbestände

Sicherheit mag für den Laien etwas Selbstverständliches sein, für den Fachmann jedoch manchmal schon ein alter Hut. Trotzdem zeigt sich immer wieder, dass für sie zu wenig getan wird. So hat das Bedürfnis nach Sicherheit oder nach noch mehr Sicherheit auch im täglichen Leben enorm zugenommen. Auch das Wissenschaftsmagazin "fundiert" der Freien Universität Berlin beschäftigt sich gerade jetzt in seiner jüngsten Ausgabe mit einem ganzen Heft auf vielfältige Weise aus der Sicht unterschiedlicher Disziplinen mit dem Thema Sicherheit (www.elfenbeinturm.net/fundiert). Erdbeben, Tsunamis und Hurrikane tun ein Übriges, die Frage nach Sicherheit in den Vordergrund zu drängen. Seit dem Anschlag am 11. September in New Yorker versucht die Politik diese sogar mit kriegerischen Mitteln, wohl vergeblich, zu erreichen. Auch die Frage sozialer Sicherheit ist zunehmend eine politische; aber Politiker, die in diese Systeme rigide eingreifen, werden bei Wahlen abgestraft.

Auch die Frage der Sicherheit von Kulturgütern, unseres kulturellen Erbes, ist seit langem ein drängendes Anliegen der Fachleute. Aber erst spektakuläre Naturkatastrophen wie die Flutkatastrophen an Oder und Elbe mit ihren Bibliotheksschäden in Grimma, Meißen, Pirna und anderswo oder jüngst die Hurrikanzerstörungen im karibischen Raum haben diese Gefahr wieder, oder auch, in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Dadurch gelingt oft eine schnelle - manchmal auch langsame - Schadensbehebung und der Wiederaufbau, wie das Beispiel in Weimar nach dem verheerenden Brand von 2004 zeigt. Ob das dann in jedem Fall mit mehr Sicherheit für die physische Existenz erfolgt, mag bezweifelt werden, besonders wenn man bedenkt, was durch die Klimaerwärmung und Ansteigen der Meeresspiegel noch auf die Menschheit zukommt.

Gegen die Gefahr der physischen Vernichtung der Kulturgüter durch kriegerische Ereignisse und Naturkatastrophen versucht man in zahlreichen Ländern, die wichtigsten Teile von ihnen oder auch Kopien in sicheren Bunkern zu lagern. Der Sankt Barbarastollen in Oberried bei Freiburg ist der zentrale Bergungsort für die Bundesrepublik Deutschland und beherbergt seit 1978 nach den Regeln der Haager Konvention sicherungsverfilmtes Archivmaterial und Bibliotheksgut, das in das Register der Objekte unter Sonderschutz bei der UNESCO in Paris eingetragen ist. Den in dem Gneis- und Granitstollen des Schwarzwaldes aufbewahrten Materialien wird eine Haltbarkeit von ca. 500 Jahren zugemessen.

Aber wie wir alle wissen, kommen Schädigungen von Büchern und Akten nicht nur von außen, vielleicht sogar weniger als von ihnen innewohnenden, z.B. durch säurehaltige Papiere des 19. Jahrhunderts, der wir vielerorts und doch zu wenig mit Massenentsäuerungsverfahren begegnen, durch geringe Haltbarkeit der Informationsträger wie Microfiches, Filme, Neue Medien oder andere digitale Formen, womit sich insbesondere das Kompetenznetzwerk Langzeitarchivierung "nestor" beschäftigt, um die verschiedenen Interessen, Kompetenzen und Anforderungen der digitalen Langzeitarchivierung zusammenzuführen (siehe hierzu Beitrag in der Rubrik Kurz Notiert). Auch das von der EU 2004 gestartete Projekt BRICKS - Building Resources for Integrated Cultural Knowledge Services will mehr Sicherheit für digitale Kulturgüter erreichen. Diese sollen europaweit in einem Netzwerk vereint und die digitale Archivierung so konzipiert werden, dass bei einem Ausfall eines oder mehrerer Rechner nicht ein Flächenbrand entsteht (siehe ebenfalls Rubrik Kurz Notiert). Nach wie vor aber ganz besonders wichtig ist die Sicherheit vor Schäden durch ungeeignete Lagerung in klimatisch unzureichenden Räumen.

Neben der Beseitigung innewohnender Gefahren müssen daher auch bestimmte äußere Anforderungen an dauerhafte und sichere Lagerungsbedingungen gestellt und diese mit der Gebrauchstauglichkeit optimiert werden. Hier gilt es, Klimaschwankungen auf ein Minimum zu reduzieren, da Papier, Holz, Leder wie auch die meisten anderen Stoffe infolge Feuchteaufnahme aus der Luft oder Temperatur schwinden oder quellen und durch diese Verformungen zu Materialbrüchen, Zerstörungen oder gar Zerfall führen. Hierzu hat Prof. Hans-Peter Leimer und sein Team am Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig umfangreiche und grundlegende bauphysikalische Untersuchungen durchgeführt, deren Ergebnisse sinngemäß für alle Gebäude, für die eine hochwertige Nutzung unserer Kulturgüter vorgesehen ist, gelten. Unter dem Titel Klimastabilität in Archiven, Bibliotheken und Museen werden diese Erkenntnisse hier vorgelegt.

Neu und ähnlich kompliziert ist die oben erwähnte Sicherung digitaler Objekte. Wie man diese archiviert, dass sie dauerhaft und damit für die Zukunft zugänglich bleiben, ist weltweit noch ungelöst. Internationale Arbeitsgruppen, Projekte und Konferenzen beschäftigen sich seit geraumer Zeit mit diesem Problem; jüngst die International Conference on Preservation of Digital Objects (iPRES) in Göttingen, über die Vera Münch berichtet. Die Frage der Langzeitarchivierung wird auch in dem Buch von Alice Keller: Elektronische Zeitschriften angesprochen, deren 2. Auflage Dr. Bernhard Mittermaier für uns rezensiert hat.

Sicherung durch Übertragung des Informationsgehaltes von einem Medium auf ein anderes z.B. durch Verfilmung (siehe Rubrik Kurz Notiert "Cinesave") oder Retrodigitalisierung, was weltweit schon lange diskutiert und praktiziert wird, sowie durch Datenmigration oder Emulationsstrategien werden auch nur eine relative, vorübergehende und begrenzte Sicherheit bieten. Wir werden uns wohl damit abfinden müssen, dass es, erdgeschichtlich betrachtet, eine endgültige Sicherheit für unsere Kulturgüter nicht geben wird. Trotzdem wird diese Zeitschrift immer wieder gerne über alle Bemühungen in dieser Hinsicht, so kurzfristig sie auch sein mögen, berichten.

Aber Sicherheitsaspekte, wie sie in diesem Heft auf vielfältige Weise beschrieben werden, sind nicht die einzigen Themen. Eine ganz andere aber interessante Thematik zeigt Georg Ruppelt mit seinem Beitrag auf, in dem er den Spuren des Ingenieurs in der deutschen Literatur seit dem 19. Jahrhundert folgt und ihr Bild darin zeichnet bis Max Frisch. Auch freuen wir uns, unserem Autor Georg Ruppelt zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes von Seiten unserer Zeitschrift ganz herzlich gratulieren zu können. Des weiteren schildert uns Gabriele Sander ihre bibliothekarische Arbeit am Goethe-Institut im usbekischen Taschkent. Natürlich bringen wir auch in dieser nachherbstlichen Ausgabe, wie immer, wieder Berichte über Veranstaltungen, Tagungen und Konferenzen, sodass wir hoffen, wiederum jedem etwas zu bieten.

Dr. Rolf Fuhlrott
Chefredakteur