Gelehrte Kommunikation: Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert


Herausgeber. Jürgen Fohrmann
- Wien ; Köln; Weimar: Böhlau Verlag, 2005. 566 S.
ISBN 3-205-77342-X, 69,00 €

Vor mir liegt wiederum ein opulentes Werk aus dem Böhlau Verlag zu einem Teilgebiet der Wissenschaftsgeschichte. Nach der Macht des Wissens(1), das in nur einem Band 400 Jahre Kulturgeschichte des Wissens abhandelte und als eine unverzichtbare Lektüre für Wissenschafts- und Bibliothekshistoriker, aber auch als eine wichtige Anregung für Museologen, Archivare, Verleger, Buchhändler, Bibliophile und Informationsfachleute bezeichnet werden kann, folgt nun Gelehrte Kommunikation mit dem Untertitel Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert.

Die vorliegende Veröffentlichung besteht aus einer Einleitung des Herausgebers, aus vier von Experten verfassten Kapiteln mit umfangreichen Literatur- und Quellenangaben sowie aus einem Bildnachweis und einem Personenregister.

Aus der Einleitung erfährt der Leser, dass der Band auf ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs "Medien und kulturelle Kommunikation" gefördertes Projekt zurückgeht.(2) "Dieses Projekt hatte sich zum Ziel gesetzt, gelehrte Wissenskulturen in ihrem medialen Wandel zu untersuchen und auf diese Weise einen Beitrag zur Geschichte unserer Intellektualität zu leisten" (Fohrmann, S. 9).

Sechs Ebenen (mediale Situation - gesellschaftliche Kommunikationsverhältnisse - Kommunikationskultur - Archiv - Arbeitsweise - Vertextungsstrategien und Textur) bilden den Rahmen, der für die Untersuchungen leitend war. Die Themen werden in vier historischen Schnitten abgehandelt:

  1. Die Ermöglichung/Stabilisierung von humanistischer Kommunikation durch die Etablierung eines Mediums (Buchdruck 16. Jahrhundert) - Leander Scholz und Andrea Schütte: "Heiliger Sokrates, bitte für uns" - Simulation und Buchdruck.
  2. Die partielle Destabilisierung wissenschaftlich-gelehrter Kommunikation im 17. und 18. Jahrhundert, fokussiert durch die Zeitung - Hedwig Pompe: Zeitung/Kommunikation. Zur Rekonfiguration von Wissen.
  3. Die Spannung zwischen einer politisch-operativen Mediennutzung und der "reinen Medialität" von Monumenten (19. Jahrhundert) - Jürgen Fohrmann: Der Intellektuelle, die Zirkulation, die Wissenschaft und die Monumentalisierung.
  4. Der Umgang mit der Entgrenzung des Gegenstandsbereichs unter den Bedingungen von Massenkommunikation auf der Grundlage von Massenmedien (20. Jahrhundert) - Erhard Schüttpelz: Von der Kommunikation zu den Medien/In Krieg und Frieden (1943-1960).

Diese vier "entwicklungslogisch aufeinander bezogenen Beiträge gehen von der medialen Situation des 16. Jahrhunderts aus, in der sich durch die Nutzung des Mediums Buchdruck die Chance zur Etablierung einer gelehrten Gemeinschaft jenseits der Universität ergibt." (Fohrmann, S.10)

Der Rezensent beschränkt sich auf die Aussagen zum Buch- und Bibliothekswesen. In der vorliegenden Veröffentlichung erfolgt dies in mehreren Kapiteln, in verschiedenen Zeitenebenen und unter verschiedenen Gesichtspunkten. Das betrifft insbesondere die ersten beiden Kapitel.

Das erste Kapitel "Simulation und Buchdruck" wird in fünf Schwerpunkte aufgeteilt: Zur Mediologie des Buchdrucks (3) - Die Humanisten als Medienexperten - Das humanistische Kommunikationsmodell - Die humanistische Copia - Die Antike als humanistisches Gedächtnis. Die Autoren verwenden mehrfach den im Bibliothekswesen nicht gebräuchlichen Begriff "Mediologie". Als Schöpfer der "Mediologie"(4) gilt der Franzose Régis Debray, der ihn 1979 in der Studie "Le pouvoir intellectuel en France" versendet. Die Mediologie konzentriert sich auf den Zusammenhang von Medientechnik, Medienorganisation und Medienästhetik und somit auch auf deren Wirkungskraft oder Macht. "Ziel der Mediologie ist es, die Rätsel und Paradoxien kultureller Übertragung aufzuklären."(5)

Im zweiten Kapitel steht die Zeitung im Mittelpunkt(6), die seit Anfang des 17. Jahrhunderts "in spezifischer Konkurrenz zum Buch für die zunehmende Verbreitung von Informationen zumeist verantwortlich gemacht wird" (S. 158). Der Erziehung des Lesers zur Kommunikation wird ein umfangreicher Abschnitt (S. 221-236) gewidmet, allerdings nur in Bezug auf die Zeitung als Medium. Die Lesegesellschaften (S. 200-201) werden leider nur am Rand erwähnt, die Leihbibliotheken fehlen ganz.

Eine empfindliche Lücke bei dieser Darstellung zur Geschichte der gelehrten Kommunikation ist das Fehlen eines Schlagwortregisters, mit dem Ausführungen aus verschiedenen Jahrhunderten und zu unterschiedlichen Disziplinen zusammengefügt werden können.

Die Veröffentlichung enthält Ausführungen zum Buch- und Bibliothekswesen in der Frühen Neuzeit(7), die andere Sichten auf die Entwicklung der gelehrten Kommunikation erlauben. Das betrifft insbesondere die Abschnitte "Zur Mediologie des Buchdrucks" und "Das humanistische Kommunikationsmodell" im ersten Kapitel und "Die Erziehung des Lesers zur Kommunikation und zum Archiv" im zweiten Kapitel.


Anschrift des Rezensenten

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin
E-Mail: dieter.schmidmaier@schmidma.de


Anmerkungen

  1. Macht des Wissens: Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft / Herausgeber. Richard van Dülmen; Sina Rauschenbach, unter Mitwirkung von Meinrad von Engelberg. Köln; Weimar; Wien: Böhlau Verlag, 2004. VIII, 741 S.
  2. Dabei handelt es sich offensichtlich um den SFB 427 B 2: Wissenskulturen: Gelehrtenkommunikation im Medienwandel" unter der Leitung von Jürgen Fohrmann und der Laufzeit vom 1.1.1999-31.12.2001. So geht es zumindest aus den Ausführungen zur Drittmittelforschung der Bonner Universität hervor. Vgl. www.germanistik.uni-bonn.de/forschung
  3. Ein wichtiges Beispiel liefert auch Falk Eidermann: Bevor die Blätter fliegen lernten. Buchdruck, politische Kommunikation und die "Medienrevolution" des 15. Jahrhunderts. In: Medien der Kommunikation im Mittelalter. Stuttgart, 2003. 290-320.
  4. Vgl. u.a. Hartmann, Frank: Mediologie. Wien, 2003; Debray, Régis: Einführung in die Mediologie. Bern, 2003. Weitere Informationen unter www.mediologie.org
  5. Hartmann, Frank: Was ist Mediologie? S. 3. Den Beitrag fand der Rezensent unter frank.hartmann@univie.ac.at
  6. Leider sind offensichtlich die Jahrbücher für Kommunikationsgeschichte, die seit 1999 im Verlag Franz Steiner in Stuttgart erscheinen, nicht berücksichtigt worden. Sie erweisen sich aber als eine wahre Fundgrube zur Geschichte der gelehrten Kommunikation. In die bis 2004 erschienen sechs Bänden wurden 45 Beiträge aufgenommen.
  7. Dies ist offensichtlich immer noch der Zeitraum zwischen 1500 und 1800. Vgl. den Bericht über eine Tagung in Erlangen von Oliver Jungen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.9.2005, S. 35.