Funkfrequenzerkennung in Öffentlichen Bibliotheken

Ist der Einsatz von RFID in Öffentlichen Bibliotheken ökonomisch sinnvoll?


Abstracts

Immer mehr Öffentliche Bibliotheken setzen auf Funkfrequenzerkennung
Kosten für RFID Komponenten
Die ökonomische Rentabilität von RFID in Öffentlichen Bibliotheken hängt von der Kundenakzeptanz ab
Kostenvergleich
Einsparpotential durch die Einführung von RFID

von Jenny Oltersdorf

Immer mehr Öffentliche Bibliotheken setzen auf Funkfrequenzerkennung

Mit Hilfe von automatischer Identifikation können Gegenstände des täglichen Lebens untereinander Informationen austauschen. Dadurch sind sie in der Lage, ihrer Umwelt mitzuteilen wer sie sind, woher sie kommen und wie ihr momentaner Zustand ist. Ubiquitous Computering, Ambient Intelligence oder Pervasive Computering sind Begriffe für diese Zukunftsvision. Die Schlüsseltechnologie des Ubiquitous Computering ist Radio Frequency Identification (RFID). Mittels RFID ist es möglich, Objekte geräuschlos und unsichtbar per Funk zu identifizieren. Seit etwa 1997 werden RFID-Systeme für Bibliotheken produziert und erfolgreich eingesetzt. Die Stadtbibliothek Siegburg war im Jahr 2001 die erste Öffentliche Bibliothek in Deutschland, die die Arbeit mit RFID aufgenommen hat. Seither ist der Einsatz von RFID in Öffentlichen Bibliotheken nichts Außergewöhnliches mehr. Klassische Einsatzbereiche sind Medienausleihe, Medienrückgabe und Diebstahlsicherung.

Kosten für RFID Komponenten

Die Einführung von RFID geschieht in den Öffentlichen Bibliotheken Deutschlands vor dem Hintergrund sinkender bzw. stagnierender Etats und ist fast immer verbunden mit dem Wunsch, durch die neue Technik eine Effizienzsteigerung und Kostenreduzierung durch Automatisierung von Routineabläufen und Selbstbedienung zu erreichen. Vor diesen potentiellen Einsparmaßnahmen steht aber eine große Investitionssumme.

Bei der Einführung von RFID in einer Bibliothek sind eine Reihe unterschiedlicher Kostenpositionen zu bedenken. Neben den wesentlichen Komponenten wie Transponder, Gates, Selbstverbuchungsterminals und Rückgabeautomaten, müssen auch Folgekosten wie etwa Umbaumaßnahmen, Mitarbeiterschulungen und eventuelle Veränderungen in der Dotierung von Stellen berücksichtigt werden.

Da eine sinnvolle Nutzung von RFID nur möglich ist, wenn alle Bibliotheksmedien mit RFID-Transpondern ausgestattet sind, handelt es sich bei ihnen um die mengenmäßig größte Komponente. Stefan Niesner gibt 2006 einen Preis von 0,31 € bei einer Abnahme von 1 Mio. Transpondern an.1 Rainer Sprengel kalkuliert im RFID-Prüfgutachten Transponderpreise zwischen 0,24 € und 0,31 € pro Etikett bei einer Stückzahl ab 400.000.2

Problematisch daran ist, dass nur wenige Öffentliche Bibliotheken bei der Einführung von RFID eine solche Menge an Transpondern benötigen. Schon ein grober Überblick in der DBS ergibt, dass der größte Teil der Öffentlichen Bibliotheken über einen Bestand im vier- und fünfstelligen Bereich3 verfügen und damit von den günstigsten Preisen ausgeschlossen sind. Zu bedenken ist außerdem, dass Folgebestellungen für den laufenden Betrieb aufgrund der geringeren Menge oft nicht mehr zu den gleichen Konditionen realisiert werden können. Ein möglicher Weg, auch bei kleinerer Abnahmezahl von den günstigsten Preisen zu partizipieren, wäre die Bildung von Konsortien oder der Vertrieb durch einen Zwischenanbieter, denkbar wäre z.B. ein nationaler Bibliotheksverband.

Die ökonomische Rentabilität von RFID in Öffentlichen Bibliotheken hängt von der Kundenakzeptanz ab

Öffentliche Bibliotheken sind Nonprofit-Organisationen. In der Betriebwirtschaftslehre werden solche Organisationen als Zuschussbetriebe definiert, d.h. sie dienen der Befriedigung eines Kollektivbedarfs und erreichen keine Kostendeckung, sondern werden durch Zuschüsse der tragenden Gebietskörperschaften finanziert.4 Dennoch sind Öffentliche Bibliotheken wirtschaftlich sinnvolle Einrichtungen, weil sie durch ihre hohe Leistungsfähigkeit für viele Bürger Dienstleistungen anbieten, die diese ohne sie nie erhalten würden. Die Schwierigkeit besteht darin, dass der von Bibliotheken erzeugte Mehrwert schwer konkret messbar ist. Die Förderung von mehr Lebensqualität durch den gleichen, freien Zugang zu Kultur und Wissen, Hilfe bei der Persönlichkeitsentwicklung, Erholung, Minderung der sozialen Isolation und Förderung der Bildung sind anhand konkreter Gewinnzahlen nicht zu bemessen. Es bleiben immer nur Vermutungen, wie hoch die Mehrausgaben jedes einzelnen Bürgers wären und welche Informationen er nie erhalten hätte, weil er das entsprechende Medium nie selbst hätte kaufen können. Ein hoher Umsatz von möglichst vielen Medien und ein vielfältiges Serviceangebot bringen daher einen wirtschaftlichen Nutzen für die Kommune.5 Um dies zu erreichen ist die Einführung von RFID ein wesentlicher Schritt.

Mittels Funkfrequenzerkennung ist es möglich, Arbeitsabläufe innerhalb der Bibliothek effizienter zu gestalten und dadurch Kapazitäten für ein erhöhtes Dienstleistungs- und Betreuungsangebot im Sinne des wirtschaftlichen Maximumprinzips freizusetzen. Der Nutzungsschwerpunkt von RFID in Öffentlichen Bibliotheken liegt im Bereich des Front Office, d.h. die Automatisierung von Verbuchung und Rückgabe mittels RFID ist der wesentliche Einsatzbereich, durch den eine Erweiterung des Serviceangebots und eine potentielle wirtschaftliche Optimierung erwartet werden.

Der ökonomisch erfolgreiche Einsatz von RFID in Öffentlichen Bibliotheken hängt unmittelbar mit dem Umsatz der Bestände zusammen. Folglich ist die Akzeptanz der RFID-Selbstverbuchungsgeräte durch die Kunden von großer Bedeutung. Das Maximum an wirtschaftlicher Effizienz von RFID wird erreicht, wenn Verbuchung bzw. Medienrückgabe automatisiert und ohne Hilfe eines Bibliotheksmitarbeiters durchgeführt werden können. Dass die Medienverbuchung durch einen Bibliotheksmitarbeiter mit Hilfe von RFID ein unnötiger Zwischenschritt ist, zeigen die Erfolge der Münchner Stadtbibliotheken, die fast 90 % aller Ausleih- und Rückgabevorgänge auf den Bibliothekskunden übertragen. Nur bei einer solch hohen Frequentierung der Ausleih- und Rückgabestationen kann die maximale Zahl von Bibliotheksmitarbeitern für andere Dienste eingesetzt werden.

Vor der Einführung von RFID in einer Bibliothek sollte darum versucht werden, die Gründe für eine mögliche Ablehnung der Technik seitens der Bibliothekskunden zu ermitteln. Gerade in der jüngsten Vergangenheit irritieren immer wieder Meldungen über unsichere Chips und heizen die Diskussion um Privatheit und informationelle Selbstbestimmung an.

Da diese Aspekte nicht durch Kosten- und Leistungsrechnung oder eine Kosten-Nutzenanalyse wiedergegeben werden, ist der Erfahrungsaustausch der zukünftigen Anwenderbibliotheken mit solchen, die bereits erfolgreich mit RFID arbeiten, unerlässlich. Planungs- und Entwicklungskosten müssen genauso bedacht werden, wie Kosten für Benutzerbefragungen und den internen Erfahrungsaustausch durch Mitarbeiterreisen.

Da die Rentabilität von RFID in einer Öffentlichen Bibliothek in erheblichem Maß von der Nutzung der Kunden abhängt, könnten Bibliotheken zukünftig auch zu der Möglichkeit greifen, die fortgesetzte Durchführung von Diensten, die nach der Einführung von RFID eigentlich selbst durchgeführt werden sollten, kostenpflichtig zu machen. Vergleichbar wäre ein solches Vorgehen mit dem von Banken. Durch die Einführung von Bankautomaten sind Vorgänge wie Überweisungen oder Geldabhebungen ohne Wahrnehmung personeller Ressourcen möglich. Die daraus resultierenden Einsparungen haben Banken, im Sinne eines positiven Anreizsystems, partiell in günstigere Kontoführungsgebühren umgelegt. Möchte ein Kunde diese Dienstleistungen nicht am Automaten, sondern durch einen Menschen ausgeführt sehen, so muss er nun dafür bezahlen. Ähnlich könnten auch Öffentliche Bibliotheken über monetäre Anreize ihre Kunden "zwingen", die RFID-gestützten Selbstverbuchungs- und Rückgabegeräte zu nutzen. Ökonomisch ist ein solches Verhalten sinnvoll, doch ob eine Bibliothek mit dem Mittel der Verteuerung von "menschlich" wahrgenommenen Dienstleitungen nach deren Automatisierung arbeiten sollte, ist fraglich.

Kostenvergleich

Soll die wirtschaftliche Rentabilität von RFID in einer Öffentlichen Bibliothek untersucht werden, liegt es nahe, einen Vergleich der bisherigen Kosten mit den potentiell anfallenden Kosten anzustreben. Eine Kostenvergleichsrechnung von RFID- und bisher genutztem Barcode-System ist aber nicht sinnvoll. Eine Kostenvergleichsrechnung ist nur dann zweckmäßig, wenn das gleiche Ziel mit unterschiedlichen Mitteln erreicht werden soll. Dem ist aber nicht so. Wären die Ziele die durch RFID erreicht werden sollen die gleichen, wie bei der Einführung der Barcodetechnologie, bräuchte man keine detaillierte Rechnung, weil von vornherein klar ist, dass die Barcodetechnologie in all ihren Komponenten eindeutig billiger ist als RFID.

Die Einführung von RFID in Öffentlichen Bibliotheken erfolgt aber in den meisten Fällen im Hinblick auf neue, bisher nicht erreichbare Ziele wie die Selbstrückgabe mit Automaten jenseits der üblichen Öffnungszeiten oder eine Verbesserung der Kundenbetreuung. RFID soll einen Mehrwert gegenüber den althergebrachten Barcodes bieten. Aus diesem Grund wäre eine Kostenvergleichsrechnung irreführend, da sie suggerieren würde, dass man das Gleiche mit unterschiedlichen Mitteln erreichen will.

Einsparpotential durch die Einführung von RFID

Jenny Oltersdorf studierte bis 31.03.2008 an der Humboldt-Universität Bibliothekswissenschaft und ev. Theologie als Magisterstudiengang. Derzeit ist sie auf der Suche nach einer festen Anstellung. Ihre Magisterarbeit mit dem Thema "RFID in Bibliotheken - Ökonomische, juristische und informationsethische Aspekte des Einsatzes von Radio Frequency Identification in Öffentlichen Bibliotheken" wurde von den Gutachtern Prof. Dr. Peter Schirmbacher und Prof. Dr. Frank Heidtmann am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft mit der Note 1,0 bewertet und gab den Anlass, Frau Oltersdorf als B.I.T.online Autorin anzusprechen. Die junge Autorin wird in den nächsten beiden Ausgaben von B.I.T.online zwei weitere Artikel zum Thema RFID veröffentlichen.
   Der Schwerpunkt des zweiten Artikels liegt bei juristischen Fragen wie Datenschutz, Datensicherheit und Fernmeldegeheimnis. Im dritten Artikel werden ethische Fragen aufgeworfen. Der Zugang zu Informationen sowie die Kompetenz, sie richtig beurteilen zu können, sind heute eine wesentliche Voraussetzungen für das Bestehen in privaten, sozialen und öffentlichen Lebensräumen. Darum haben Öffentliche Bibliotheken eine besondere ethische Verpflichtung gegenüber den Bürgern. Stimmt man dieser These zu, so stellt sich die Frage, ob diese Verpflichtung durch den Einsatz von RFID behindert wird? Wie steht es mit älteren Menschen, Menschen mit Bewegungseinschränkungen oder Menschen, die nicht oder nur schlecht deutsch sprechen? Welche Folgen hat der Einsatz von RFID für sie?

Unterstellt man, dass durch die Einführung von RFID kein Mehrwert erzeugt wird, sondern allein Kosten reduziert werden sollen, liegt das größte Potential in der Einsparung von Personalstellen im Front Office. Die manuelle Datenerfassung bei Ausleih- und Rücknahmetätigkeiten von Medien ist zeitaufwendig und bindet Personalkapazitäten. Die Lösung bieten RFID-Selbstverbuchungsautomaten. Der Ersatz von teurer menschlicher Arbeit durch vollautomatische Identifikationssysteme führt im Idealfall zu einer gesteigerten Informationsqualität bei gleichzeitiger Minderung von Personalkosten. Die Münchner Zentralbibliothek am Gasteig beispielsweise finanziert ihr RFID-Projekt zu erheblichen Teilen durch Stelleneinsparungen aufgrund der prognostizierten Arbeitsersparnis im Front Office. Gerechnet wurde dazu mit 11,9 Sekunden für die Verbuchung eines Mediums. Durch die Einführung von RFID-Selbstverbuchungsanlagen ergibt sich rechnerisch eine Einsparung von 29 Stellen, die innerhalb von 5 Jahren erfolgen soll.6

Für eine mittelgroße Öffentliche Bibliothek in Berlin könnte die Einführung von RFID in Bezug auf Personalstellen folgende Einsparungen erbringen: Bei ca. 2000 Entleihungen pro Tag und einer Zeitdauer von 11,9 Sekunden pro Vorgang7, müssten 6 Stunden und 36 Minuten pro Tag für die Verbuchung von Medien angesetzt werden. Geht man von der gleichen Anzahl und Zeitdauer für die Rückbuchung der Medien aus, ergibt das einen Zeitaufwand von 13 Stunden und 12 Minuten pro Tag. Bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 37 Stunden pro Woche8 verbrächten zwei Arbeitskräfte ihre gesamte Arbeitszeit mit dem Verbuchen bzw. Rückbuchen von Medien. Dieser Wert ist rein theoretisch, da 1. nicht ununterbrochen Medien verbucht werden müssen9 und 2. den Mitarbeitern eine Pause zusteht, so dass im Ergebnis sogar drei Mitarbeiter dauerhaft in ihrer Arbeitszeit durch Medienausleihe und Rücknahme eingebunden sind. Unterstellt man nun bei der Einführung von RFID eine Nutzungsquote der Selbstverbuchungsgeräte von annähernd 90 %, so beliefe sich der tägliche Arbeitsaufwand für Medienausleihe und Medienrücknahme auf nur noch 1 Stunde und 19 Minuten. Dies wäre problemlos von einer einzigen Person zu bewältigen, die darüber hinaus noch Zeit für Auskunfts- und Kassentätigkeiten und Neuanmeldungen hätte. Im Ergebnis bedeutet dies ein Einsparungspotential von zwei der ursprünglich drei benötigten Personalstellen für die Verbuchung (BAT VIII/VII = 30.950 ? Jahresgehalt x 2 = 61.900 €) durch die Einführung von RFID-Selbstverbuchungs- und Rückgabeautomaten.

Ob ein solcher Einsatz von RFID langfristig Erfolg versprechend ist, kann jedoch bezweifelt werden. Meiner Ansicht nach wird eine allein auf Personaleinsparungen ausgelegte Arbeit mit RFID den wirtschaftlichen Nutzen der Öffentlichen Bibliothek für die Kommune reduzieren, weil potentiell weniger Bürger die Öffentliche Bibliothek nutzen werden.


Anmerkungen

1. Niesner, Stefan (2006): RFID in Bibliotheken - eine Einführung; online zugänglich unter: http://www.opus-bayern.de/bib-info/volltexte/2006/201/pdf/Niesner_S1_RFID_in_Bibliotheken_eine_Einfuehrung.pdf, S. 6

2. Sprengel, Rainer (2007): RFID-Prüfgutachten: zur Einsatzmöglichkeit von RFID in den Öffentlichen Bibliotheken Berlins; Technik, Wirtschaftlichkeit, Finanzierung, Personalentwicklung, Organisationsentwicklung, Kundenbeziehung, Datenschutz. - Berlin : VÖBB, 2007; online zugänglich unter: http://www.Bibliotheksportal.de/fileadmin/0themen/RFID/dokumente/sprengelRFIDgutachten.pdf

3. http://www.hbz-nrw.de/angebote/dbs

4. Wöhe, Günter (1990): Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre / von Günter Wöhe. München: Vahlen, 1990, S. 394

5. Vgl. Blanck, Sandra (2006): Wert und Wirkung von Bibliotheken. In: Fuhlrott, Rolf [Hrsg.]: Neues für Bibliotheken - neues in Bibliotheken / hrsg. von Rolf Fuhlrott.... - Wiesbaden, Dinges & Frick, 2006, S. 9-106

6. Pohl, Marianne; Schubert Eva (2007): Nie mehr Schlange stehen - Selbstverbuchung mit RFID. In: Bibliotheksforum Bayern, H 1, S. 38

7. Vgl. Pohl ; Schubert 2007, S. 38.

8. Die Arbeitszeit von 37 Stunden pro Woche entspricht dem Anwendungstarifvertrag in Berlin.

9. Es muss immer ein Mitarbeiter an der Theke präsent sein.


Autorin

Jenny Oltersdorf

Parkstr. 69
13086 Berlin
jennyoltersdorf@gmx.de