Strzolka, Rainer:
Das Internet als Weltbibliothek:
Suchmaschinen und ihre Bedeutung für den Wissenserwerb


- Berlin: Simon Verl. für Bibliothekswesen, 2008
- 177 S.: Ill. 978-3-940862-00-6 29,00 €

Der Hannoveraner Kollege Strzolka hat bereits ein umfangreiches, leider vergriffenes Werk1 zur fachgerechten Handhabung von Suchmaschinen verfasst, in dem er unter anderem unseren Berufsstand wegen dessen anhaltenden Naivität bei der Benutzung von Suchmaschinen kritisiert. Da er begnadet polemisch zu formulieren vermag, ist das sehr unterhaltsam zu lesen, überdies hat er Recht mit der Einschätzung, dass Kolleginnen und Kollegen, denen bei einer Internet-Recherche lediglich Google als Suchmöglichkeit einfällt, sich selbst überflüssig machen.

Die hier besprochene Veröffentlichung konzentriert sich auf einen besonderen Aspekt der Suche mit Hilfe von Suchmaschinen, jenen der Manipulation von Suchergebnissen, vom Autor Zensur genannt. Es ist sehr verdienstvoll, diesen Sachverhalt gesondert und bis in die Einzelheiten zu behandeln, da bei der Internetrecherche eine entscheidende Frage jene nach den Lücken in den Ergebnissen ist. Das betrifft jene Ergebnisse, welche für die Antwort relevant wären, die aber nicht angezeigt werden. Man kann es schon als moderne Religion werten, dass seitens der Nutzer die jeweils angezeigten Ergebnisse einer Internetsuche als einzig mögliche angesehen werden, so dass die Frage, was denn nun nicht angezeigt wird, als irrelevant erscheint. In der Sprache des Information Retrieval würde man sagen, dass der "Recall" hier stets mit 100 % angesetzt wird. - Nun wissen Informations-Profis oder solche, die es sein sollten, dass es immer Lücken gibt, da die Robots der Suchmaschinen nicht das ganze World Wide Web erschließen, sondern stets nur einen Teil davon. - Weniger bekannt ist die Tatsache, dass ein weiterer Teil der Ergebnisse aufgrund einer aktiven "Filterung" der Ergebnisse durch die Suchmaschinenbetreiber nicht dargestellt, also unterdrückt wird. Es sind also bewusste Beeinflussungen und Weglassungen des Rankings und der Ergebnisse durch die Suchmaschinenbetreiber, die hier behandelt werden. Hierzu zählen im Grunde vier Sachverhalte:

Strzolka behandelt jeweils eingehend die Problematik, schildert bekannte Fälle und kommentiert die Sachverhalte zutreffend. Dabei ist er in diesem Buch weitaus stringenter als im eher weitschweifigen Vorgängerwerk, bringt die Dinge auf den Punkt und spart sich manche Philippika gegen den Berufsstand, der damit die Chance hat, die Inhalte ohne Widerwillen zur Kenntnis zu nehmen. Die vielen Fälle von Beeinflussung nämlich, welche hier dokumentiert werden - der schönste der geschilderten Fälle ist jener, dass viele Begriffe, welche die Zeichenfolge "sex" beinhalten, gesperrt werden, also auch das Staatsexamen -, stimmen bedenklich, da hier Marktmacht (und das betrifft keineswegs nur den Marktführer Google, welcher freilich zurecht oft als Musterbeispiel herhalten muss) bedenkenlos ausgenutzt wird, ohne dass dies für die Betroffenen jeweils offensichtlich wäre.

Strzolka zeigt die Nutzlosigkeit und den Widersinn von Zensurmaßnahmen, weil durch diese

Man lernt als Informationsprofi durch die Lektüre vieles über die möglichen Lücken, man lernt auch, wie man sie eventuell füllen kann, - beispielsweise durch die Nutzung von Suchmaschinen, welche Ergebnisse nicht unterdrücken. Hiervon wird eine ganze Liste aufgeführt, so dass man hier in gewissem Maße "gegensteuern" kann. Man lernt als Informationsprofi und Bürger weiter, dass die Zensurmaßnahmen meist ohne Transparenz für die Betroffenen durchgeführt werden und ebenso ohne Legitimation. Dieser Sachverhalt betrifft einen grundlegenden Aspekt der politischen Bildung: Wie Suchmaschinen das Bild von der Welt beim Einzelnen und somit auch der Gesamtheit, der Öffentlichkeit zu beeinflussen vermögen. Was Google, Yahoo! und MSN nicht kennen, kennt der Nutzer ihrer Dienste nicht (mehr). Dieser Sachverhalt gehört meiner Einschätzung nach fundamental zur Informationskompetenz und sollte daher auch in die einschlägigen Kurse und Anleitungen mit aufgenommen werden. Dieses Buch bietet die notwendigen Voraussetzungen dafür!


Dr. Jürgen Plieninger
Bibliothek des Instituts für Politikwissenschaft
Universität Tübingen
juergen.plieninger@uni-tuebingen.de


Anmerkung

1. Strzolka, Rainer; Strzolka, Charlotte: Suchmaschinenkunde: Einführung für Bibliothekare, Fachangestellte für Medien- und Informationsberufe sowie andere Informationsvermittler und Paraprofessionals an OPLs. - Hannover [u.a.]: Koechert, 2006. - 471 S.: Ill. (Arbeiten zur Bibliotheks- und Dokumentationspraxis: N.F.; 2) 3-922556-96-5