Publikationsstrategien einer Disziplin:
Mathematik in Kaiserreich und Weimarer Republik
Hrsg. Volker R. Remmert; Ute Schneider
Das Forschungsprojekt „Eine Disziplin und ihre Verleger: Formen, Funktionen und Initiatoren mathematischen Publizierens in Deutschland, 1871-1949“ und die daraus resultierende Tagung „Rahmenbedingungen mathematischen Publizierens in Deutschland 1871-1949“, die 2007 am Mathematischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz stattfand, haben sich mit einigen Aspekten der Entstehung, Verbreitung, Erschließung und Speicherung von Informationsquellen am Beispiel der Mathematik beschäftigt. Die Ziele der Mainzer Tagung lassen sich am besten mit den Worten der Herausgeber beschreiben (die folgenden Zitate entstammten dem Vorwort auf Seite 7):
Diese Formulierungen gelten im Wesentlichen auch für andere Wissenschaftsdisziplinen. Der Mathematik gebührt durch diese Tagung die Vorreiterrolle.
Sechs der acht in dem Sammelband veröffentlichten Beiträge gehen auf Vorträge der Mainzer Tagung zurück:
Ergänzt werden die Referate durch zwei Beiträge:
Der Rezensent hätte sich gewünscht, dass die Herausgeber im Vorwort auf den größeren Zusammenhang, die Entwicklung von Wissenschaftsverlagen in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, eingehen. Das Thema war z. B. Gegenstand einer Tagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Buch-, Bibliotheks- und Mediengeschichte1. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gaben viele alte Universalverlage, die sowohl Belletristik als auch wissenschaftliche Literatur und Sachbücher publizierten, ihr breites Angebot zugunsten einer stärkeren Profilbildung auf. Verlagsneugründungen spezialisierten sich von Beginn an auf eine oder wenige Disziplinen. Im Mittelpunkt des Wolfenbütteler Tagungsbandes, an dem auch die beiden Herausgeber des Mainzer Tagungsbandes mit wichtigen Beiträgen vertreten waren, stehen die Publikationsstrategien eines Verlags, sich durch seine Produktion sowohl auf dem wissenschaftlichen Markt zu behaupten als auch auf die Entwicklung der Disziplin einzuwirken. Die Autoren untersuchen die Beziehungen zwischen den Vertretern einzelner Wissenschaftsdisziplinen und ihren Verlegern, deren Ergebnisse in Form von Büchern und Zeitschriften einerseits der Unterstützung von Lehre, Forschung und Praxis dienten, andererseits zur Verbreitung von Erkenntnissen für Wissenschaftler anderer Disziplinen und für das breite Publikum gedacht waren.
Der große Mathematiker Konrad Knopp hat in seiner, auch an Laien gerichteten Antrittsrede zum Lehrstuhlinhaber für Mathematik an der Universität Tübingen am 27. Januar 1927 zum Thema „Mathematik und Kultur“ referiert. Mit seinen Ausführungen wollte er die Angst vor der Mathematik überwinden helfen und auf ihre Stellung im öffentlichen Leben hinweisen: „Wie ein hohes, unwegsames Gebirge liegt das mathematische Land vor den Blicken des Laien. Die Zugänge sind steil und steinig … und auch denen, die schon lange darin sind, ist es versagt, den Nachkommenden den Weg zu ebnen oder zu erleichtern.“2 Der vorliegende Band trägt zu besseren Zugängen zur Mathematik bei und ist ein sehr wichtiger Beitrag zum Jahr der Mathematik 2008 aus der Sicht der Buch- und Bibliothekswissenschaft, denn die Beiträge behandeln wesentliche Aspekte interdisziplinärer Forschungsaufgaben.
Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
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1. Wissenschaftsverlage zwischen Professionalisierung und Popularisierung / Hrsg. Monika Estermann; Ute Schneider. Wiesbaden, 2007. 204 S. – Zur Mathematik: Ute Schneider über Mathematik im Verlag B. G. Teubner und Volker R. Remmert zu Aspekten mathematischen Publizierens zwischen 1933 und 1945.
2. Knopp, Konrad: Mathematik und Kultur. Berlin, 1984. S. 3. (Den Autoren und Freunden unseres Hauses zum Jahreswechsel 1984/1985. Walter de Gruyter Berlin) – Die Rede ist veröffentlicht in: Preußische Jahrbücher 211 (1928) S. 283-300.