"Lesen/leben lernen"

- in der digitalen Kultur als besondere Aufgabe der öffentlichen Bibliotheken für Kinder und Jugendliche


Abstracts

von Erwin Miedtke

Kinder und Jugendliche sind eine der wichtigsten Zielgruppen der öffentlichen Bibliotheken weltweit. In Bremen haben über 50% der Grundschulkinder einen Leseausweis der Stadtbibliothek; in den dezentralen Standorten in den Stadtteilen und in der Busbibliothek beträgt der Anteil der Kinder und Jugendlichen bei den eingetragenen Kundinnen und Kunden bis zu 70%!

In den öffentlichen Bibliotheken finden Kinder und Jugendliche eigens für sie gestaltete Bereiche vor mit einem vielfältigen Medienangebot. Bibliotheken haben sich längst zu Medienorten gewandelt, die auch für Kinder und Jugendliche neben audiovisuellen und elektronischen auch digitale Medien zum Download1 anbieten. PCs mit öffentlichen Internetzugängen wie vor Ort installierte Computerspiele in den Bereichen für Kinder und Jugendliche sind vielerorts Realität. Kinder und Jugendliche begegnen neuen Medien in der Regel mit größtem Interesse.

Parallel zum Medienangebot organisieren öffentliche Bibliotheken seit jeher Maßnahmen zur Leseförderung und Schaffung einer Lesekultur durch Events wie Kindermedientage, Lesenächte etc.. Ausgehend davon, dass auch im multimedialen Umfeld Literalität die Basiskompetenz geblieben ist, unterstützen Bibliotheken mit vielen verschiedenen altersgerecht gestuften Angebote wie z.B. Baby-Book-Start die Leseförderung im Elternhaus speziell durch Vorleseaktionen sowie die Aktivitäten von Kindergärten und Schulen. Die Stadtbibliothek Bremen stellt sich z.B. mit einem "Spiral-Curriculum" durch alle Jahrgangsstufen auf die verschiedenen Bedürfnisse und Interesse der Zielgruppen unterschiedlichen Alters ein.

In Kooperation mit Kindergärten und Schulen bieten Öffentliche Bibliotheken primär traditionell unterschiedliche Veranstaltungen an zur Förderung der Lesekompetenz von Grundschülerinnen und -schülern durch Übungen zur Erweiterung der Lesekompetenz, zur Schaffung von Leseanlässen - auch mit speziellen Angeboten für Jungen - und zur Erkundungen der Bibliothek mit Einführungen in die Medienkunde, die Benutzung von Nachschlagewerken in Print- und elektronischer Form sowie in die Recherche im Internet, in Portalen und die Nutzung der E-Medien-Downloads.

Im Zuge der Neudefinition als Medien- und Kommunikationsort schulen Bibliotheken seit vielen Jahren auch die Medienkompetenz der Kundinnen und Kunden sowie der Beschäftigten. Hier liegt eine der besonderen Aufgabenstellung der Bibliotheken, die es stetig weiterzuentwickeln gilt. Die Konzepte der "Benutzerschulung" firmieren unter "Teaching Library"; damit sind sämtliche Aktivitäten auf dem Gebiet der Förderung von Informations- und Medienkompetenz gemeint. Ziel für die Vermittlung von Medienkompetenz sind z.B. Auswahl und Nutzung von Angeboten im Internet2 und die Einführung in die Benutzung von Datenbanken. Die Stadtbibliothek Bremen z.B. bietet u.a. für Schülerinnen und Schüler mit dem "Forscherhandbuch" und "Nix wie weg" gezielte Einführungen an, in denen Informationen spielerisch sowohl aus den Printmedien der Bibliothek als auch aus dem Internet zu recherchieren und zu vergleichen sind. Wichtig sind darüber hinaus auch Kooperationen der Bibliotheken mit Partnern wie z.B. Medienwerkstätten zur Realisierung gemeinsamer Projekte.

Eine besondere Herausforderung für Bibliotheken ist die Realität einer digitalen Schriftumwelt sowie eines deutlich veränderten Freizeit- und Medienverhaltens von Kindern und Jugendlichen: Kinderkultur ist heute gleichzusetzen mit Medienkultur. Die Leseimpulse und damit das Leseverhalten haben sich dramatisch verändert,. Kinder und Jugendliche nutzen eine Vielzahl von Medien zu unterschiedlichen Zeiten und verschiedenen Zwecken - oft parallel zu anderen Tätigkeiten. Das "beschauliche Lesen" von Printmedien scheint insbesondere bei Jugendlichen deutlich in eine zeitlich kleinere Freizeitnische abgedrängt zu werden; die Entwicklung geht von der Literalität zur komplexen audio-visuellen Zeichenhaftigkeit des Alltags, in dem die Literalität zunehmend aufgeht.

Um für Kinder und Jugendliche als öffentlicher Medienort auch zukünftig attraktiv zu sein, bieten öffentliche Bibliotheken neben physischen Angeboten und zielgruppengerechter in lebensweltlich orientierter Präsentation auch zunehmend virtuell Inhalte an und erarbeiten Konzepte, digitale Kompetenzen vermitteln.

Die Stiftung Lesen berichtet in ihrer aktuellen Studie "Lesen in Deutschland 2008", dass es 67% der Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren egal ist, ob ein Text gedruckt oder digital ist; gleichzeitig stellt diese Gruppe den höchsten Anteil (=30%) derjenigen, die sich beim Lesen am Bildschirm verzetteln. Insgesamt nimmt das vollständige Lesen am Bildschirm im Vergleich zu 2000 über alle Altersgruppen deutlich zu mit einer Steigerung von 25% auf 41%. Das digitale Lesen ist Realität! Leseförderung und Medienkompetenzvermittlung haben das als Fakt methodisch noch intensiver als bisher einzubeziehen.

Die besondere Herausforde,rung ist dabei, die Medienwelten nicht gegensätzlich darzustellen, sondern sie miteinander zu verknüpfen:

  1. wie z.B. in der sinnvollen Kombination von Printmedien mit audiovisuellen und digitalen Angeboten. In der Zentralbibliothek der Stadtbibliothek Bremen steht z.B. im Zentrum der Kinderbibliothek (bis 12 Jahre) ein großer Spieltisch mit offline installierten Computerspielen. Im "Teenspirit"-Bereich (ab 12Jahre) gibt es für Jugendliche männlichen und weiblichen Geschlechts 2 unterschiedlich gestaltete Bereiche. Die Print- und AV-Bestände in diesen Bereichen erzielen mit die höchsten Ausleihumsätze der Zentralbibliothek!

  2. Das Buch nicht als Alternative zu den "anderen Medien" zu sehen, sondern als Teil der Medien, die für die jeweilige Situation gleichberechtigt genutzt werden. Gute Beispiele sind hier Klassenführungen oder Events, die verschiedene Medien integrieren.

  3. Analog zu den Printmedien auch für digitale Angebote Qualitäts- und Beurteilungskriterien zu vermitteln für Inhalt, Navigation, grafische Gestaltung, Typografie, Interaktivität und Multimedialität als Rüstzeug für die komplexen Anforderungen beim "digitalen Lesen".

Um auch in der digitalen Kultur ihre Funktion zu erfüllen, müssen Bibliotheken neue methodisch-didaktische Kompetenzen auch für ihre Beschäftigten entwickeln hinsichtlich der pro-aktiven Funktion als Kommunikationsort sowohl im realen Bibliotheksraum als auch in der Online-Kommunikation: Technische Barrieren bei den Beschäftigten als Hürde müssen abgebaut werden; ein Einlassen auf die modernen Entwicklungen der Kinder- und Jugendkultur ist entsprechend zu fördern.

Speziell für Kinder gestaltete Bibliothekshomepages sind ein Muss und als Vehikel für interaktive Angebote für Lese- und Schreibanlässe weiterzuentwickeln. Die brandneue Kinderhomepage der Stadbibliothek Bremen wird am 3. September 2009 gestartet3 Betreute Blog- und Chat-Angebote wie die interaktive Hausaufgabenhilfe der Zentral- und Landesbibliothek Berlin sind bereits in der Erprobung. Erste Bibliotheken bieten auch im Second Life ihre Dienste an bzw. präsentieren sich als Teilnehmer der social-online-communities..

Ziel aller Aktivitäten ist im Kontext der digitalen Kultur eine Leseförderung mit allen Sinnen und allen Medien sowie eine medienpädagogische Qualifizierung aller Beteiligten!


Autor

Erwin Miedtke

Stadtbibliothek Bremen
Stellv. Direktor
Leitung Bibliotheken/Medien/Information
Am Wall 201
28199 Bremen

Tel.: 0421/361 59112
Fax: 0421/361 6903
http://www.stadtbibliothek-bremen.de
Erwin.Miedtke@stadtbibliothek.bremen.de


Quellen

http://www.bibliotheksportal.de/hauptmenue/bibliotheken/bibliotheken-in-deutschland/bibliothekslandschaft/oeffentlichebrbibliotheken/

http://www.multikids.de/

http://www.bibliotheksportal.de/hauptmenue/themen/bibliothek-und-bildung/bibliothek-und-schule/

"21 gute gründe für bibliotheken" Hrsg. von der BID - Bibliothek & Information Deutschland. Berlin 2009

www.stiftunglesen.de

Tan, Jin: Second life in Bibliotheken. Wiesbaden 2008


Anmerkungen

1. http://www.bibliothek-digital.de/bremen/frontend/welcome,51-0-0-100-0-0-1-0-0-0-0.html

2. Kooperative Angebote dazu sind: www.internetbibliothek.de bzw. www.frag-die-bibliothek.de

3. http://www.kessi.stadtbibliothek-bremen.de/