Die neue Bibliothek der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich


Abstracts

1. Die Fakultät
2. Das historische Gebäude
3. Der Architekt
4. Der Umbau
5. Die Bibliothek


von Gernot U. Gabel

Die universitären Liegenschaften in der Innenstadt Zürichs sind von Bauten geprägt, die eine solide, zurückhaltende Repräsentanz ausstrahlen. Bei baulichen Veränderungen schaute man eher auf kostengünstige Lösungen und vermied das Modische, doch jüngst engagierte man einen Stararchitekten, der für spektakuläre Effekte bekannt ist. Das Überraschungsmoment des Um- und Neubaus der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, der im November 2004 eingeweiht wurde, ergibt sich für den Betrachter allerdings nicht aus der Fassade, sondern erst durch einen Blick in den umgestalteten Innenhof.

1. Die Fakultät

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät entstand 1833 zusammen mit der Universität Zürich und spaltete sich 1969 in eine Juristische und eine Wirtschaftswissenschaftliche Abteilung auf. Aus ersterer ging 1992 die heutige Rechtswissenschaftliche Fakultät hervor, die neben dem Rechtswissenschaftlichen Institut aus dem Kriminologischen Institut sowie einem Institut für Völkerrecht und ausländisches Verfassungsrecht besteht. Parallel zum stetigen Anstieg der Studentenzahl nahmen auch die Planstellen für Professoren und Assistenten zu. Aus Raummangel waren die 37 Lehrstühle schließlich auf acht Standorte verteilt. Mit dem Bezug des Gebäudes in der Rämistrassse 74 sind nun Arbeitsplätze für die Mitarbeiter von 27 Lehrstühlen, das Dekanat sowie ca. 500 Studierende geschaffen worden.

Die Bibliothek der größten schweizerischen Rechtsfakultät hat sich anfangs vornehmlich aus Schenkungen von Professoren entwickelt. Als durch regelmäßige Erwerbungen die Kollektion stetig anwuchs und die Raumverhältnisse nicht mit dem schnellen Wachstum der Sammlung mithalten konnten, musste man sich viele Jahre mit Provisorien begnügen. Nach mehreren Umzügen und der Anmietung von Räumen kam schließlich ein Netz von Aussenstationen zusammen, und damit einher ging eine Vermehrung der Bibliothekarstellen. Während die Kollektion 1948 nur von zwei Mitarbeiterinnen betreut wurde, sind heute neben der Leiterin fünf AssistentInnen und sechs BibliothekarInnen, die zumeist Teilzeit arbeiten, in der Bibliothek beschäftigt.

2. Das historische Gebäude

Das heutige Fakultätsgebäude wurde 1908 nach Plänen des Kantonsbaumeisters Hermann Fiertz erbaut und der Kantonsschule und den Chemischen Laboratorien der Universität zur Nutzung übergeben. Der in Form einer neubarocken Vierflügelanlage errichtete Baukörper erhielt an der Rämistrasse eine reich gestaltete Hauptfassade, während der geschlossene Innenhof bewusst schmucklos gehalten war. Die Nutzräume sind alle nach außen orientiert, die Nebenräume, Treppen und Korridore zum Hof. In den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden die Gebäudeflügel der Nordost- und Nordwestseite aufgestockt und mit einem Flachdach überdeckt. Nachdem die Züricher Bürger 1971 per Volksentscheid einer Teilverlegung der Universität aus der Stadtmitte zugestimmt hatten, wurden die naturwissenschaftlichen Institute auf dem neuen Campus angesiedelt. Dafür zogen Institute der philosophischen Fakultät sowie das Rechenzentrum in das Institutsgebäude ein. In den 70er und 80er Jahren erfolgten mehrere Umbauten auf den Geschossebenen, um die Wünsche der neuen Nutzer zu berücksichtigen.

3. Der Architekt

19. 89 wurde Santiago Calatrava beaufragt, eine Lösung für den Umbau des historischen Institutsgebäudes zu erarbeiten. Der 1951 in Valencia geborene Architekt, Spross eines alten spanischen Adelsgeschlechts, hat in Valencia und an der ETH Zürich Architektur und Bauingenieurwesen studiert. Seit 1979 unterhält er ein Büro in Zürich, seit einiger Zeit auch in Paris. Calatrava war zunächst auf die Konstruktion von Brücken spezialisiert, übernahm bald aber auch andere Aufträge für öffentliche Bauten in Europa und den USA. Durch die Kombination seines Ingenieurwissens mit einem futuristischen Designansatz gelangen ihm spektakuläre Bauwerke, die durch die skulpturale Wirkung ihres Tragwerkes auffallen. Die elegante Formsprache seiner Konstruktionen gibt ihnen einen hohen Wiedererkennungswert, lässt Kritiker aber auch manchmal bemängeln, dass sich die eigentliche Funktion nicht auf den ersten Blick erschließt. Den Bewohnern Zürichs ist Calatrava seit den späten 80er Jahren durch den schwungvoll gestalteten Bahnhof Stadelhofen vertraut. In Deutschland hat Calatrava Mitte der 90er Jahre zwei Berliner Brücken rekonstruiert (Konprinzen- und Oberbaumbrücke) sowie den IC-Bahnhof in Berlin-Spandau. Seine Arbeiten wurden weltweit mit mehreren Preisen geehrt, und zwölf Universitäten haben ihm einen Ehrendoktor verliehen.

4. Der Umbau

Calatrava hat das äußere Erscheinungsbild des denkmalgeschützten Institutsgebäudes weitgehend unverändert belassen. Die Aufstockung der beiden niedrigen Gebäudeflügel, die sich formal an den bestehenden Dachflächen orientiert, erfolgte als Stahl-Glas-Leichtbaukonstruktion, die sich deutlich als moderne Ergänzung vom historischen Gebäude absetzt. Durch die Überbauung des Innenhofes ergibt sich eine größere Energieeffizienz, denn der bisherige Wärmeenergieverbrauch kann heruntergefahren und durch die Tageslichtnutzung der Stromverbrauch reduziert werden.

Die Bibliothek setzte Calatrava als Stahlkonstruktion in den 720 m² großen Innenhof des Institutsgebäude, verbunden mit den beiden Geschossen der Aufstockung. Der Einbau durfte die Untergeschosse und das Erdgeschoss nicht verschatten, und daher wählte der Architekt eine Tragkonstruktion, mit der die Lesesaalgalerien vom Altbau losgelöst sind und die bestehende Innenhoffassade nur punktuell an den Auflagern berühren. Da der Einbau mit linsenförmigem Grundriss gestaltet wurde, blieb durch die Freiräume die natürliche Belichtung der Korridore im Altbau erhalten. Die Zahl der Auflager ist auf insgesamt fünf reduziert, von denen nur zwei optisch als Stützen im Erdgeschoss in Erscheinung treten. Die sechs geschwungenen Stahlgalerien sind von einer ovalen Glaskuppel überdeckt, die dem linsenförmigen Grundriss des Lichthofes folgt. Die Haupttragkonstruktion der Kuppel ist der mittig verlaufende Kastenträger, an welchen Querrippen geschweißt sind, die skelettartig den Innenhof überspannen. Unterhalb des "Gürteltierrückens" der Kuppel liegt eine hydraulisch gesteuerte, als Lamellenvorhang gestaltete Beschattungsanlage, die das einfallende Sonnenlicht kontrolliert. Die Beschattungskonstruktion fungiert auch als Akustikelement und wirkt zudem als bewegliche Raumskulptur. Insgesamt brachte die Erweiterung einen Flächenzuwachs von rund 4.800 m². Die Gesamtkosten des Projekts beliefen sich auf fast 50 Millionen Schweizer Franken.

5. Die Bibliothek

Der Benutzer betritt die Bibliothek durch den neu geschaffenen Eingang auf der Rückseite des Gebäudes, passiert dann die Schließfächer und kommt in die Eingangsschleuse. Unmittelbar danach kann er, im Freiraum des über 30 Meter hohen Lichthofes stehend, das neue Raumerlebnis auf sich wirken lassen. Rund um ihn erheben sich gestaffelt die geschwungenen Lesesaalgalerien, die mit warm leuchtenden Ahorn-Sprossen verkleidet sind. Durch die Fahrt mit dem Lift in einem der zwei gläsernen Aufzugsröhren, die in die Schnittpunkte der beiden Galerieschenkel platziert sind, so dass sich das ganze Lichtauge überblicken lässt, wird der Überraschungseffekt noch eindrucksvoller. Die elegant geschwungene "Balkonanlage" aus Stahl wird durch die sechs Geschosse hindurchgeführt, wobei der an den Scheitelpunkten hinreichend bemessene Abstand der beiden Galerieschenkel ein angenehmes Raumgefühl vermittelt. Alle Leseplätze auf den sechs Galerien orientieren sich als Einzelarbeitsplätze zum zentralen Luftraum und der natürlichen Beleuchtung hin. Auch Gruppenarbeitsplätze wurden eingeplant. Die Bücherstellflächen befinden sich gleichfalls auf den Galerien, sie wurden in die bestehenden Aussparungen zwischen den beiden Treppenhäusern des Altbaus eingefügt, und außerdem sind die Bücherregale in den Brückenträgern integriert. Die Fachliteratur befindet sich somit in der Nähe der Arbeitsplätze. Die Regale (insgesamt ca. 5.000 laufende Regalmeter) können die Kollektion im Umfang von rund 150.000 Bänden - die zweitgrößte juristischen Bibliothek der Schweiz - in vollem Umfang aufnehmen. Auf jeder Galerie sind zudem PCs für die Katalogabfrage aufgestellt (seit 1991 werden die Bestände elektronisch erfasst, seit 1999 mit Aleph), für die Kopierer sind jeweils kleinere Raume vorgesehen.

Calatravas elegante Konstruktion wurde 2003 als wirkungsvolles Beispiel für die Formbarkeit und Ausdrucksstärke von Stahl und zugleich als Beitrag zu energetisch richtigem Bauen mit dem Europäischen Stahlbaupreis ausgezeichnet. Mit der gelungenen Kombination aus Licht, Form und Raum hat die Bibliothek eine Attraktivität erlangt, die die Fakultät im Zeichen eines zunehmenden Wettbewerbs um Studierende nun als Bonus vorweisen kann.


Zum Autor

Dr. Gernot U. Gabel

Jülichstraße 7
D-50354 Hürth
E-Mail: 520097194694-0001@t-online.de