Österreich und die Digitale Bibliothek Europas

Ausgewählte Projektbeteiligungen


Abstracts

Die Digitale Bibliothek Europas
Europeana v1.0 und EuropeanaConnect
Europeana Local
BHL Europe


von Gerda Koch

Die Digitale Bibliothek Europas

Die Europäische Kommission stellt im Bereich "Digital Libraries" des ICT PSP Programms1 (Information and Communication Technologies Policy Support Programme) jährlich zwischen 22 und 25 Mio. € an Fördergeldern zur Verfügung. Diese Förderungen unterstützen die Entwicklung von Dienstleistungen, das Aggregieren und die Digitalisierung von Objekten für Europeana, den freien Zugang (Open Access) zu wissenschaftlicher Information und die Aufbereitung von kulturellen Materialien für den Lehrbetrieb. Im November 2008 wurde der erste Prototyp (www.europeana.eu) der Digitalen Bibliothek Europas, einer "Online-Sammelstelle" für wissenschaftliche und kulturelle Information offiziell vorgestellt. Im Jahr 2009 startet(e) die Europäische Kommission zahlreiche Projekte, die einerseits die technische Überführung des Prototypen in ein Produktivsystem zur Aufgabe haben, andererseits die Einbringung der digitalisierten Daten und den Ausbau des europaweiten Verbundnetzwerkes koordinieren. Die zwei technik-orientierten Projekte Europeana v1.0 und EuropeanaConnect stehen dabei im Zentrum der technischen Umsetzungsarbeiten für Europeana, und werden von einer Anzahl von Projekten zur Einbringung der Daten in die Europäische Digitale Bibliothek begleitet. Diese Projekte unterstützen vor allem den Workflow, stellen sich den domain-spezifischen Herausforderungen und helfen den Arbeitsaufwand für einzelne Institutionen in der Aufbereitung und Aktualisierung der Daten möglichst gering zu halten.

Auswahl von Europeana-Projekten mit Startdatum 2008 oder 2009

Europeana v1.0 und EuropeanaConnect

Ziel von Europeana v1.02 (2009 - 2011) ist es, den Prototypen der Europeana in ein Produktionssystem zu überführen und Lösungen für die weitere Finanzierung und organisatorische Fortführung von Europeana nach Ende des Förderzeitrahmens zu erarbeiten. An diesem Netzwerk-Projekt nehmen 100 Partner aus allen EU-Ländern teil. Das "Schwesterprojekt" EuropeanaConnect3
(2009 - 2011) wird in Kooperation mit Europeana v1.0 weitere zentrale technische Komponenten für das EUROPEANA Portal entwickeln. Die Resultate beider Projekte werden in zwei neuen Releases des Europeana Prototypen veröffentlicht werden, der "Rhine-Release" im Juli 2010 und der "Danube-Release" im Juni 2011.

Die Österreichische Nationalbibliothek ist Koordinator von EuropeanaConnect. Die Universität Wien, die Austrian Research Centers, die Universitätsbibliothek Innsbruck und AIT Forschungsgesellschaft mbH in Graz sind weitere österreichische Projektpartner. Insgesamt sind im Projekt 30 Partnerinstitutionen aus 14 EU-Staaten vereint. Zu den in EuropeanaConnect zu entwickelnden Komponenten für Europeana zählen u.a. eine mehrsprachige Suchfunktion, Werkzeuge zur semantischen Anreicherung der Daten, Übersetzungstools, Verwaltungswerkzeuge für die Daten, die Entwicklung einer Europeana-Version für mobile Endgeräte und Werkzeuge zur Annotation (tagging) und Lizenzierung. Mittels der Einbindung der sich bereits erfolgreich im Einsatz befindlichen DISMARC Aggregationsplattform4 werden außerdem Audio-Inhalte an Europeana geliefert. Die in DISMARC bereitgestellte Infrastruktur für das Aufbereiten und Harvesten der Audio-Daten wird weiter ausgebaut mit dem Ziel, dass bis Projektende mehr als 150.000 digitalen Hörproben aus ca. 150 Audioarchiven in Europeana eingespeist werden.

Teilansicht des Arbeitsablaufs (Workflows) zur Einbindung von Audio-Daten in die Aggregationsplattform

Ein nicht unwesentlicher Aspekt im gesamten Integrationsprozess ist, dass für sämtliche digitale Objekttypen, und insbesondere für den Audio-Bereich, noch zahlreiche Urheberrechtsfragen zu klären sind. In einem ersten Schritt will die Digitale Bibliothek Europas den unbeschränkten Zugang zu rechtefreien Bildern, Audios, Videos und Texten ermöglichen, doch eine große Menge kultureller und wissenschaftlicher Information, vor allem des 20. Jahrhunderts, bleibt damit vom freien Zugang noch ausgeschlossen. Daher hat die im Frühjahr 2009 von der Europäischen Kommission erneut bestätigte Expertengruppe für digitale Bibliotheken (High-Level Expert Group)5 den Auftrag, sich neben den Fragen zu öffentlich-privaten Partnerschaften für die Digitalisierung und zur Einbindung wissenschaftlicher Information, insbesondere mit dem Urheberrecht, zu beschäftigten und hier Empfehlungen auszuarbeiten.

Das im September 2009 in Den Haag stattfindende "Europeana Plenary", ein auch für das öffentliche Publikum zugängliche Forum für alle Europeana-Projektbeteiligte, steht ebenfalls unter dem Motto "Creation, Collaboration & Copyright".

Europeana Local

Europeana Local6 ist ein 3-Jahres Projekt (2008-2011), das regionale und lokale Kulturinstitutionen bei der Publikation ihrer Katalogdaten in der Europäischen Digitalen Bibliothek betreut. In jedem Land der Europäischen Union steht den Einrichtungen ein Projektpartner zur Verfügung, der interessierte Institutionen beim Abgleich der Daten an das Europeana-eigene Datenschema berät und bei der Katalogdatenübernahme in Europeana unterstützt. Der Abgleich mit dem ESE (Europeana Semantic Elements)7 Datenfeldkatalog ist dabei die Grundbedingung für die gemeinsame, übergreifende Suche in den einzelnen Datenbeständen. In Österreich stellt der Europeana Local Partner den Einrichtungen eine eigene Testplattform (http://www.europeana-local.at) bereit, in der die auf das ESE Schema abgestimmten Daten eingesehen werden können. Über eine OAI (Open Archives Initiative)8 Schnittstelle werden diese Daten später in das europaweite Europeana Portal übernommen. Die Testplattform bietet Suchmöglichkeiten auf Objekt- und Sammlungsebene, zahlreiche Informationsdienste im Bereich digitale Bibliotheken und Test-Werkzeuge für registrierte Nutzer und Partner. Bereits vorbereitet ist außerdem die Aufbereitung von Vokabularen, auch der zukünftigen Europeana Vokabulare, als Vokabular-Webservices im SKOS Format. Webservices sind Softwareprogramme, die auf unterschiedlichen Netzwerkrechnern laufen, und über das Internet in eine lokale Anwendung integriert werden können. Auf diesem Wege hat der Nutzer die Möglichkeit die vorhandenen Vokabularien und Thesauri bereits bei der Datenerfassung im lokalen Katalogisierungssystem zu verwenden. Der Abgleich der originären Katalogdaten erfolgt automationsunterstützt mit Online-Tools und bei Bedarf wird zusätzlich die Möglichkeit zur Fortsetzung der Datenhaltung über ein Online-Metadaten-Tool angeboten. Hierzu wird das Qubit Open Information Management Toolkit9 verwendet, eine vollständig webbasierte Open-Source Software für das Verwalten und Hosten von mehrsprachigen und auf mehrere Aufbewahrungsorte verteilte Sammlungen.

Die Datenlieferung an den österreichischen Europeana Local Partner gestaltet sich äußerst unterschiedlich je nach Art der Datenhaltung in den einzelnen Institutionen. Dies reicht von der Datenaktualisierung per Zusendung von Text-Exportdateien bis hin zur Einrichtung automatisierter OAI-Schnittstellen, wie sie z.B. bereits für die Universitäten in Graz und Wien verwirklicht wurden.

Ansicht der Katalogdaten im virtuellen Katalog von Europeana Local mit den jeweiligen Links zur Webpräsentation beim Partner und zum Originalbild beim Partner. Auf die digitalen Objekte wird in Europeana immer nur per Link verwiesen.

Eine weitere österreichische Initiative im Zusammenhang mit diesem Projekt war der Entwurf eines Positionspapiers zur "Digitalen Bibliothek Austria"10, das auf die Wichtigkeit eines landesweit abgestimmten Kooperationsnetzwerks im Rahmen einer digitalen Bibliothek Österreichs hinweist. Anlässlich des "Regionalen Informationstages EUROPEANA Local" im Februar 2009 in Graz haben österreichische Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen daraufhin ihr Interesse bekundet, die einheitliche Einbringung von kulturellen Materialien aus Österreich in Form von Arbeitsgruppen zu begleiten. Dabei wurden Arbeitsgruppen für Digitalisierung, Normdateien, Metadaten, Sammlungssysteme und Netzwerkgestaltung vorgeschlagen. Die konstituierende Sitzung der Arbeitsgruppen wird Mitte November 2009 in Wien stattfinden.

BHL Europe

Nicht nur die Sammlungen lokaler und regionaler Kultur- und Wissenseinrichtungen auch die Bibliotheken der naturhistorischen Museen und botanischen Gärten sind oft nur für ein eingeschränktes Publikum zugänglich. In diesem Forschungsbereich sind viele der historischen Dokumente noch heute von außerordentlicher Wichtigkeit für die taxonomischen Studien, die Arterhaltung, den Umweltschutz, die Krankheitsbekämpfung und die Erhaltung unserer Ökosysteme. So sind für die Zuordnung von seltenen Exemplaren oft über 100 Jahre alte Aufzeichnungen von Bedeutung, falls z.B. dieses Exemplar seit dieser Zeit nicht mehr aufgefunden oder dokumentiert worden ist. Im Weiteren sind diese Daten wesentlich für die Umsetzung des Übereinkommens über die biologische Vielfalt11
(Convention on Biological Diversity CBD) der Vereinten Nationen. Diese Konvention dient dem Schutz der biologischen Vielfalt, der nachhaltigen Nutzung ihrer Bestandteile, der Zugangsregelung und dem gerechten Ausgleich von Vorteilen, welche aus der Nutzung genetischer Ressourcen entstehen. Der Vertrag wurde 1992 von 168 Staaten und der Europäischen Kommission unterzeichnet wurde und hat weltweit 190 Vertragspartner.

Bereits 2007 wurde von den 10 größten naturwissenschaftlichen Museumsbibliotheken und botanischen Gärten die erste BHL12
(Biodiversity Heritage Library) Online Plattform in den USA gegründet und mit der systematischen Digitalisierung der historischen Bücher begonnen. Das Scannen und die Datenhaltung wird zum Teil über die Nutzung des frei verfügbaren Open-Access Text Archivs des Internet Archive13 realisiert.

Ansicht im Bookreader des Internet Archive

Das Projekt BHL Europe14 erweitert diese Initiative nun auf die umfangreichen Sammlungen naturwissenschaftlicher und botanischer Forschungsbibliotheken in Europa und errichtet ein europäisches Fachportal, das Synergien in der Digitalisierung der europaweit verteilten Materialien ermöglichen soll und bereits digitalisierte Literaturbestände aus ganz Europa in einem gemeinsamen und frei zugänglichen Internetportal zusammenführt. Nicht nur in Europa auch in China und in Australien sind in den nächsten Jahren Netzwerk-Kooperationen mit BHL geplant.

Koordinator des BHL Europe Projektes (2009-2012) ist das Museum für Naturkunde in Berlin. Am Projekt sind 28 Institutionen aus 13 Ländern Europas und den USA beteiligt. BHL Europe "Content Provider" aus Österreich sind das Naturhistorische Museum in Wien und die Oberösterreichischen Landesmuseen.

Webseite von BHL Europe

Wie Henning Scholz, der Koordinator des Projektes formuliert, ist es "Ziel der Arbeiten jedem Bürger in Zukunft die Möglichkeit zu eröffnen sich aus erster Hand über die Tiere und Pflanzen der Heimat zu informieren, seltene Originalarbeiten großer Naturforscher wie Charles Darwin oder Alexander von Humboldt einzusehen oder handkolorierte Zeichnungen aus dem 17. oder 18. Jahrhundert zu bewundern. Naturschutzorganisationen wird ein Werkzeug in die Hand gegeben, seltene oder gefährdete Tier- und Pflanzenarten zu erkennen und deren Verbreitung zu ermitteln, um Schutzmaßnahmen zukünftig besser steuern zu können."

Der Abgleich der BHL Daten aus den verschiedenen Institutionen wird über eigens entwickelte Mapping-Tools oder sogenannte ETL-Tools
(Extract-Transform-Load)15 wie z.B. das Open Source Produkt Pentaho16 durchgeführt. Für die Datenverwaltung, das Repository Management, wurde Fedora Commons17 gewählt. Schwerpunkte der technischen Arbeiten in BHL Europe sind die Komponenten-Entwicklung für die Daten-Integration
(Katalogdaten-Abgleich und semantische Anreicherung mittels Ontology18 Webservices), die Datenhaltung (Integration von Cloud-Technologie19) und der Zugang zu den Daten (mehrsprachige und Ontologie-unterstützte Suchmöglichkeit).

Kulturlandschaften werden aus dem Zusammenwirken von Natur und Mensch erschaffen und zählen zu unserem kulturellen Erbe laut Artikel 1 der UNESCO Welterbe Konvention20. Über die Einbindung der BHL Europe Daten in die Europeana erfolgt erstmals auch eine Verknüpfung dieses Wissens mit archäologischen und ethnologischen Daten.


Autorin

Mag. Gerda Koch

AIT - Angewandte Informationstechnik Forschungsgesellschaft
Klosterwiesgasse 32/1
A-8010 Graz
kochg@ait.co.at


Anmerkungen

1. http://ec.europa.eu/information_society/activities/ict_psp/index_en.htm
(abgerufen am 06.08.2009)

2. http://version1.europeana.eu/web/europeana-project/
(abgerufen am 06.08.2009)

3. http://www.europeanaconnect.eu/
(abgerufen am 06.08.2009)

4. http://www.dismarc.org/
(abgerufen am 06.08.2009)

5. http://ec.europa.eu/information_society/activities/digital_libraries/experts/hleg/index_en.htm
(abgerufen am 06.08.2009)

6. http://www.europeanalocal.eu/
(abgerufen am 06.08.2009)

7. http://group.europeana.eu/web/guest/provide_content
(abgerufen am 06.08.2009)

8. http://www.openarchives.org/
(abgerufen am 06.08.2009)

9. http://code.google.com/p/qubit-toolkit/

10. http://www.europeana-local.at/
(abgerufen am 06.08.2009)

11. http://www.cbd.int/
(abgerufen am 06.08.2009)

12. http://www.biodiversitylibrary.org/
(abgerufen am 06.08.2009)

13. http://www.archive.org/index.php
(abgerufen am 06.08.2009)

14. http://www.bhl-europe.eu/
(abgerufen am 06.08.2009)

15. http://de.wikipedia.org/wiki/ETL
(abgerufen am 06.08.2009)

16. http://www.pentaho.com/products/
(abgerufen am 06.08.2009)

17. http://www.fedora-commons.org/
(abgerufen am 06.08.2009)

18. Allgemein fällt unter den Gegenstandsbereich der Ontologie eine Systematik grundlegender Typen von Entitäten (Gegenstände, Eigenschaften, Prozesse) und ihrer strukturellen Beziehungen. http://de.wikipedia.org/wiki/Ontologie (abgerufen am 06.08.2009)

19. Cloud Computing steht für einen Pool aus abstrahierter, hochskalierbarer und verwalteter IT-Infrastruktur, die Kundenanwendungen vorhält und falls erforderlich nach Verbrauch abgerechnet werden kann. (Quelle: Forrester Research) http://de.wikipedia.org/wiki/Cloud_Computing
(abgerufen am 06.08.2009)

20. http://whc.unesco.org/en/conventiontext/
(abgerufen am 06.08.2009)