B.I.T.online - Zeitschrift für Bibliothek, Information und Technologie

Verabschiedung aus 35 Jahren Bibliotheksdienst -

Laudatio von Barbara Schneider-Kempf auf Professor Christoph-Hubert Schütte

Am 14. Dezember 2009 wurde im Rahmen eines Festaktes in Karlsruhe der Direktor der KIT-Bibliothek, Prof. Christoph-Hubert Schütte in der Ruhestand verabschiedet. Die Laudatio reflektiert seinen beruflichen Werdegang aus der Sicht der Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Frau Barbara Schneider-Kempf.

Herrn Schütte kenne ich persönlich seit nunmehr 25 Jahren, indirekt sogar schon ein wenig länger. Ich hatte mein Architekturstudium 1973 in Mainz begonnen, war dann recht bald nach Hannover gewechselt und fühlte mich dort unglücklich, so dass ich froh war, mit Aachen schließlich endlich einen Ort und eine Hochschule gefunden zu haben, die mir zusagte. Hannover und ich – wir passten damals, Mitte der siebziger Jahre, einfach nicht zueinander. Mit gefiel die Stadt damals nicht, nicht das Studium und auch die Uni nicht und selbst die Universitätsbibliothek schreckte mich ab, statt mich zu motivieren. Kein Wunder, möchte man heute sagen, damals war ja auch Herr Schütte noch nicht da; damals war er noch Werkstudent auf der Werft und im Hafen von Hamburg.

Die Jahre gingen ins Land, ich schloss mein Studium ab, ebenso das zweijährige Bibliotheksreferendariat; und die junge Assessorin erhielt 1984 die Chance für ein Vorstellungsgespräch ausgerechnet in Hannover. Mit gemischten Gefühlen fuhr ich also mal wieder nach Norddeutschland; und vor allem: ohne große Begeisterung. Damals wuchsen die Stellen ja noch auf Bäumen, und sollte es in Hannover nichts werden, so wäre es mir recht egal gewesen. Doch „es wurde“, denn ganz offensichtlich fand Herr Schütte Gefallen an meinen beruflichen Vorstellungen. 1984 also heuerte ich in Hannover an – als Fachreferentin für Architektur und Bauingenieurwesen; in einer Bibliothek, in der ein strenges Triumvirat herrschte, überdies die Verkörperung eines Patriarchats, wie es heute – ich schwanke zwischen gottlob und leider – völlig aus der Mode gekommen ist. Drei Männer von echtem Schrot und Korn leiteten damals die UB/TIB: Gerhard Schlitt, Jobst Tehnzen und Christoph-Hubert Schütte. Das war eine ebenso gefürchtete wie leistungsstarke Troika, die allenfalls noch von der Schmidt-Wehner-Brandt-Troika in der Bonner Baracke übertroffen wurde.

1984, das waren andere, heute sehr ferne Zeiten, in denen – mittlerweile ganz unvorstellbar – noch unglaublich viel geraucht und getrunken wurde. Auch wir in Hannover machten da keine Ausnahme, wobei niemand das Lüttje Lage so perfektioniert hatte wie Herr Schütte. Sie runzeln die Stirn, meine Damen und Herren, offenbar wissen Sie nicht, was Lüttje Lage ist. Befremdend, doch ich habe mit solcher Unkenntnis des Hannoveranischen gerechnet. Also: Traditionell wird eine Lüttje Lage, eine Kombination aus Bier und Schnaps, aus zwei speziellen Gläsern gleichzeitig getrunken. Ein kleines, niedriges Glas mit Lüttje-Lagen-Bier wird zwischen Daumen und Zeigefinger genommen. Der Mittel- und der Ringfinger derselben Hand halten ein mit Korn gefülltes Schnapsglas. Beim Trinken werden die Gläser so angesetzt, dass das Schnapsglas über dem Bierglas liegt und der Kornbranntwein zusammen mit dem Bier in einem Zug getrunken wird. Da bei Ungeübten meist etwas Schnaps daneben geht, liegen häufig spezielle Schürzen oder Lätzchen bereit. Herr Schütte konnte es auch ohne Schürzen und Lätzchen.

Doch leider bestand das bibliothekarische Leben nur allzu selten aus Lüttje Lage – Christoph-Hubert Schütte war stets hellwach und präsent.

In Hannover war die Aufgabenteilung einfach und überschaubar: die Niedersächsische Landesbibliothek betrieb die Literaturversorgung in den geistes- und den sozialwissenschaftlichen Fächern, die Universitätsbibliothek übernahm, gemeinsam mit ihrer 1959 adoptierten ‚Schwester’, der Technischen Informationsbibliothek, die Bereiche Technik und Naturwissenschaften. Beide gemeinsam fungierten damals wie heute sehr erfolgreich als deutsche Zentralbibliothek. In Hannover standen bereits in der Schütte-Ära alle deutschen Patentschriften von der Nummer 1 an bereit, in der Normenauslegestelle erhielt man Einblick in alle deutschen Normen und besaß eine Dienstleistungsorientierung, die in anderen Bibliotheken erst Jahre und Jahrzehnte später Einzug hielt. Dass eine Bibliothek gesamtgesellschaftliche Verantwortung trägt, dass Wirtschaftswachstum und ökonomische Prosperität nicht zuletzt ihre Ursache auch in einer exzellenten Fachbibliothek haben, hat kaum jemand so prägnant formuliert wie Sie. „Optimale Information“ – und gemeint ist hier Information durch Bibliotheken, durch Bibliothekarinnen und Bibliothekare, optimale Information also „ist eine Grundlage für Innovation und technisch-wirtschaftlichen Fortschritt.“ – Ob im Umkehrschluss wirtschaftliche Stagnation und Rezession auch auf schlecht ausgestattete und unterdurchschnittlich motivierte Bibliotheken zurückzuführen sein können, ist eine attraktive Fragestellung für einige Dissertationen, führt uns aber zu weit weg von Ihnen, Herrn Schütte, der Sie stets nicht nur an die Bedeutung hocheffizienter Bibliotheken geglaubt haben, sondern in vorderster Front marschiert sind, um Bibliotheken erst einmal hocheffizient zu machen! Sie gehören und gehörten zu den in besonderer Weise glaubwürdigen und überzeugenden Bibliothekaren, da Sie nicht mit den gängigen Phrasen und Schlagworten um sich schleudern, sondern die Dinge prospektiv in die Hände nehmen und innovativ dort verwirklichen, wo manch anderer nur plaudert und schwadroniert.

Solche Behauptung will bewiesen sein. Lassen Sie mich also einige Sätze „Schütte im Original“ zitieren. Hochschulbibliotheken, so ist der Kontext, seien ja seit altersher verpflichtet, die Dissertationen, Habilitationen und sonstigen Hochschulschriften aller Fakultäten zu archivieren – und, Beginn des Zitates, „es werden daher zur Zeit Überlegungen angestellt, ob die modernen Informationstechnologien nicht dazu benutzt werden können, eine Datenbank der Forschungsdaten und Forschungstexte aller Fachbereiche an der Universität zu erstellen. Dieser Volltextspeicher sollte möglichst alle Forschungsaktivitäten und forschungsrelevanten Daten der Universität verzeichnen“ – meine Damen und Herren, die wunderbare Vision von Herrn Schütte ist noch heute keine Realität. Es gibt zwar Ansätze, in jeder Hochschule ein Universitätsrepositorium zu schaffen; ein solcher zentraler Server also mit den Volltexten der Forschungsergebnisse existiert aber leider noch immer nicht flächendeckend: in den Philologien kaum, in den medizinisch-naturwissenschaftlich-technischen Fächern immerhin schon weitaus mehr. Doch nicht zum Klagen haben wir uns heute versammelt, sondern zum Rühmen, und gerühmt werden soll derjenige, der diese Forderung nach einem Hochschulschriftenserver erhob: Herr Schütte nämlich, und als er dies tat, schrieben wir – es ist ja schwarz auf weiß gedruckt und somit können Sie gar nicht anders, als es mir zu glauben – das Jahr 1983. Es sind nun also 26 Jahre bereits vergangen, dass eine derart kühne und forschungserleichternde Forderung erhoben wurde. Wer solche Sätze heute, am Vorabend des zweiten Jahrzehnts unseres 21. Jahrhunderts, liest oder hört, kann gar nicht anders, als Herrn Schütte in die sehr schmale Reihe der technischen Bibliothekspioniere einzureihen – denn, meine Damen und Herren, lassen wir uns ehrlich sein – die meisten von uns beherrschten 1983 nicht mehr als die elektrische Schreibmaschine und hätten mit dem uns heute allen so geläufigen Terminus vom „Volltextspeicher“ nichts, aber auch gar nichts anzufangen gewusst. Herr Schütte aber sehr wohl, und es sind Menschen vom Schlage Herrn Schüttes, die manches bereits einige Jahre früher bedenken, planen und konstruieren, damit die anderen anschließend davon profitieren dürfen. Herzlichen Dank an dieser Stelle, Ihnen, lieber Herr Schütte, wie auch den wenigen anderen deutschen Bibliotheksavantgardisten, die so frühzeitig schon den Mut besaßen, nach gangbaren Wegen in ein neues, IT- (damals sagte man noch DV-, später dann EDV-) basiertes Bibliothekszeitalter vorzustoßen.

Meine Damen und Herren, Sie mögen sich fragen, ob ein einziger innovativer Text aus dem Jahr 1983 denn wohl repräsentativ und vor allem ausreichend ist, um Herrn Schütte als einen der Pioniere der bibliothekarischen Moderne zu bezeichnen. Ja, er ist es; und ich will es Ihnen beweisen. In der bibliothekarischen Fachpresse, aber gelegentlich auch im klugen Feuilleton liest man gerne, kaum ein Berufsstand sei in den vergangenen zwanzig Jahren derart rasanten Umbrüchen unterworfen gewesen wie der des Bibliothekars. Überall, wirklich überall habe die Computertechnologie das manuelle Arbeiten ersetzt – ob sich da wohl gerade das Bibliothekswesen wirklich so epochal gewandelt hat? Wir dürfen ein wenig skeptisch sein, aber selbstverständlich hören Bibliothekare derlei gern: jeder vernimmt es mit Freude zu erfahren, dass gerade sein Berufsfeld sich erfolgreich selbst modernisiert habe – und für die Journalisten ist es ein hübsches Klischee, dass binnen weniger Jahre aus der strengen Bibliothekarin mit Schottenrock, Hornbrille, Wollstrümpfen und Dutt schneidige und schnittige „Information Broker“ wurden. Der langen Rede kurzer Sinn: Christoph-Hubert Schütte war ein „Information Broker“, ein Online-Informationsvermittler, als in Deutschland der Begriff „Offline“ noch als terra incognita galt, von „Online“ ganz zu schweigen. Dasselbe Thema, ein anderer Aufsatz, diesmal noch ein Jahr älter, von 1982. Was denn unter den „neuen Informationstechnologien“ zu verstehen sei, wollten Sie dem Leser näherbringen; und Sie antworten mit bestechender Plausibilität: zum einen sei das die Suche nach Informationen mit einem Rechner im Online-Verfahren und das sei anschließend – wörtliches Zitat! – „die Direktbestellung der Originaltexte bei Literaturlieferanten mit Hilfe eines Rechners“. In Hannover hatte sich ein solches Verfahren damals bereits etabliert, zwar mehr als Ausnahme denn als Regel (auf achteinhalbtausend Studenten und 700 Dozenten kamen pro Jahr nicht mehr als 300 Recherchen), jede Recherche kostete mehrere hundert Mark – egal! Erfahrungen machen, Rückschläge wegstecken, skeptische Traditionalisten überzeugen, Haushälter begeistern, das Mittelmaß des Anfangs immer wieder neu optimieren – in Hannover und später dann in Karlsruhe gehörten Sie zu denen, die dem Mainstream fünf bis zehn Jahre voraus waren.

Wer über einen scheidenden Bibliotheksdirektor ein paar freundliche Worte sagen will, kann es sich recht einfach und bequem machen und zum Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken, der sogenannten ‚Grünen Bibel’ greifen. Hier ermittelt man dann die Bestandsgröße – für Nichtbibliothekare: die Zahl der Bücher – im Jahr des Dienstantritts und stellt sie der gegenwärtigen Bestandsgröße gegenüber. Das ergeben in jedem Fall beeindruckende Zahlen, zumal dann, wenn der Mann an der Spitze, wie im Falle Herrn Schüttes, nicht weniger als 21 Jahre im Amt war. Also, auch ich mache es mir gerne einfach und erliege für einige kurze Augenblicke der Magie der großen Zahlen. Als Sie, lieber Herr Schütte, 1988 hier in Karlsruhe aufschlugen, besaß die Universitätsbibliothek Karlsruhe 700.000 Bücher, heute, 2009, sind es 1,2 Millionen. Fünfhunderttausend Bücher also, eine halbe Million Stück, sind unter Ihrer Ägide ins Haus gekommen – beachtlich, beachtlich! Und doch weiß jeder Bibliothekar und jede Bibliothekarin: bei einem einigermaßen auskömmlichen Erwerbungsetat kommen die Bücher fast von selbst ins Haus; hierzu bedarf es in aller Regel nicht des Leitenden Direktors, sondern vor allem der fleißigen Fachreferentinnen und Fachreferenten. Dennoch: 500.000 Bücher, also fast 23.000 mathematische und ingenieurwissenschaftliche Bücher pro Jahr, darauf darf man stolz sein – und, lieber Herr Schütte, wenn Sie so weitermachen würden, besäße die UB in Karlsruhe im Jahr 2.418, also in 409 Jahren, exakt so viele Bücher wie die Staatsbibliothek zu Berlin. Meine Damen und Herren, Sie haben es längst erkannt: derlei Zahlenspielereien sind müßig, denn bei einer Bibliothek zählen auch andere Werte.

1996 erfolgte dann Christoph-Hubert Schüttes Fanfarenstoß. Es war ein Paukenschlag, ein Donnerhall, der da ertönte. Unter Ihrer Ägide, lieber Herr Schütte, entstand der KVK. „Karlsruher Virtueller Katalog“ – das hat einen guten Klang. Ein Markenzeichen ist entstanden, das nicht allein der Universität und der Universitätsbibliothek zu Reputation verhilft, sondern auch der Stadt. Meine Damen und Herren, Sie mögen es mir verzeihen, wer – wie ich – sein Leben in Berlin verbringt, dem begegnet Karlsruhe quasi ausschließlich in den Abendnachrichten, wenn die Journalisten vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Bundesgerichtshof stehen und die in Karlsruhe ergangenen Urteile kommentieren. Davon abgesehen und darüber hinaus macht Karlsruhe, sicherlich ganz unverdient, in der öffentlichen Wahrnehmung nicht immer sehr viel her – abgesehen vom KVK, der ja ein Rechercheinstrument weniger für Bibliothekare als vielmehr für alle Literatursuchenden ist. Unübersehbar in der rechten oberen Ecke der KVK-Startseite platziert und somit allgegenwärtig auf den weltweiten Bildschirmen steht „Karlsruher Virtueller Katalog“ – mittlerweile so eng mit der dahinterstehenden Stadt verknüpft und so positiv konnotiert wie „Lübecker Marzipan“ und „Leipziger Allerlei“.

Doch wollen wir nicht allein vom Imagegewinn, vom Prestige des KVK sprechen, sondern von seinen Inhalten, von seiner Bedeutung. Eigentlich, lieber Herr Schütte, müsste ich es Ihnen übelnehmen. Denn was Sie mit dem KVK angestellt haben, wäre vor dem Krieg ja meine Aufgabe gewesen. In den alten Zeiten des zentralstaatlicher organisierten Bibliothekswesens war es ganz unmissverständlich die Königliche Bibliothek in Berlin, die spätere Preußische Staatsbibliothek, die sich derlei Gesamtverzeichnissen auf nationaler Ebene anzunehmen hatte. Der Preußische Gesamtkatalog, der spätere, unvollendet gebliebene Deutsche Gesamtkatalog, sind ganz genuine Berliner Vorhaben, die zunächst der Zweite Weltkrieg und später dann die Dezentralisierung im föderalen deutschen Staatswesen unterbrochen und schließlich beendet haben. Der KVK, meine Damen und Herren, ist kein Nationalkatalog im strengen bibliothekarischen Sinne, er ist „nur“ eine Metasuchmaschine. Doch das sind Erbsenzählereien. Ohne Karlsruhe, ohne Herrn Schütte und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter sähe die Verzeichnung der deutschen Bibliotheksbestände aus wie eine Deutschlandkarte im 18. Jahrhundert: zersplittert und kunterbunt, unübersichtlich und heterogen. (So ist es in Wirklichkeit auch tatsächlich, das deutsche Bibliothekswesen) – aber Herr Schütte und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verklären das verwirrende Erscheinungsbild und fügen die Stränge harmonisch zusammen. Statt eines unverbundenen Nebeneinanders der sechs deutschen Verbundkataloge und all ihrer Nebenkataloge – Deutsche Nationalbibliothek, Zeitschriftendatenbank, ÖVK – bündelt der KVK die Ströme, die Bäche und die Rinnsale und verhilft uns nicht zu einer passablen, nein: zu einer komfortablen Ersatzlösung für den in Deutschland fehlenden Nationalkatalog. Lieber Herr Schütte, was Sie da gemacht haben, war mutig und auch ein wenig riskant. Bibliothekarinnen und Bibliothekare schätzen es eigentlich gar nicht, wenn aus ihrer Mitte jemand unangemeldet vorprescht und eigenverantwortlich dringenden Desideraten ein Ende bereitet – wir sind schließlich nicht in der freien Wirtschaft, wo Menschen wie Sie als Erfinder und Entdecker zu Reichtum gelangen können.

Der KVK weist heute mehr als 500 Millionen Bücher, Zeitschriften und zunehmend auch unselbständig veröffentlichte Zeitschriftenaufsätze nach, weil er nicht statisch auf dem Stand von 1996 verharrt ist, sondern von Ihnen konsequent weiterentwickelt worden ist. Desideraten abzuhelfen und das dann Entstehende weiter zu optimieren, war, lieber Herr Schütte, stets Ihre Devise – so auch beim KVK. Wer mal eine Weile nicht im KVK recherchiert hat, entdeckt immer mal wieder eine willkommene Ergänzung, die das Katalog-Tableau weiter perfektioniert.

Mittlerweile ermöglicht der KVK den Zugang zu zwei Dutzend ausländischen Katalogen, darunter beispielsweise auch den Verbundkatalogen Israels, Kanadas und Russlands – bis hin zum WorldCat. Und wer das gesuchte Buch in irgendeinem der vielen via KVK angezeigten Bibliothekskataloge zwar ermittelt hat, wem aber nun der Weg zum Buch zu aufwendig ist, dem bietet der KVK– ein besonders pragmatischer Service – auch einen ganzen Strauß an Buchhandelskatalogen und Datenbanken an, um ladenneu oder antiquarisch das Buch über kurz oder lang in Händen halten zu können.

Zum Nutzen der Stadt, zum Wohl der Region, für den Fortschritt der Nation – meine Damen und Herren, das klingt pathetischer als es ist. Doch sollen diese hohen Worte auch bewiesen sein! Und wieder, lieber Herr Schütte, müsste ich Ihnen eigentlich etwas übelnehmen. Denn 1998 haben Sie sich, nachdem Sie ja schon in Sachen KVK gottlob Ihre Kompetenzen maßlos überschritten hatten und reichlich nassforsch im nationalen Alleingang davongeprescht waren, 1998 also haben Sie neuerlich eine sehr dankenswerte Amtsanmaßung betrieben. Jahrzehntelang war das Feld der Fachzeitschriften für das wissenschaftliche Bibliothekswesen sehr überschaubar gewesen. Es regierte eine strenge Königin, sie nannte sich ZfBB, „Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie“, und sie erhob eine Art Alleinvertretungsanspruch – was ihr nicht schwerfiel, neben ihr war das Feld ja frei. Eine zweite vergleichbare Fachzeitschrift gab es nicht. Die ersten Sezessionisten traten 1977 auf den Plan und gründeten die Zeitschrift „Bibliothek. Forschung und Praxis“; 1981 geschah dann die nächste Abspaltung mit der Gründung „ABI-Technik“. Nun gut, mochte man urteilen, ein Nischenprodukt, das sich vorwiegend mit Automation, Bau und Technik beschäftigt – nun durfte man den Markt wohl als gesättigt ansehen.

Weit gefehlt, denn wer so dachte, hatte die Rechnung ohne Herrn Schütte gemacht. 1998 betraten Sie die Zeitschriftenbühne mit einem geschmacklos munteren Produkt, gegen das die Konkurrenz plötzlich (und teilweise bis heute) verstaubt wirkt. Wie gesagt, ich müsste Ihnen, Herr Schütte, eigentlich grenzenlos böse sein, bin ich doch Mitherausgeberin jener „Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie“, der Sie mit Ihrem munteren Newcomer einige Hiebe versetzt haben. Allein: es fällt mir schwer, Ihnen ernstlich böse zu sein, lieber bin ich Ihnen von Herzen dankbar. Denn B.I.T. online – die „Zeitschrift für Bibliothek, Information und Technologie“ – ist eine derart pfiffige und attraktive Zeitschrift, dass laut „Zeitschriftendatenbank“ momentan die altehrwürdige „Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie“ mit ihrem gravitätischen Namen in 265 deutschen Bibliotheken abonniert wird, ihr keckes Blatt hingegen bereits in 163 deutschen Bibliotheken. Da denkt man, lieber Herr Schütte, fast an „überholen, ohne einzuholen“ – nur weiter so! Sie haben dem gesamten deutschsprachigen (ich sage ausdrücklich deutschsprachigen, denn es handelt sich um eine sehr profitable und geglückte Zusammenarbeit auch mit der Kollegenschaft in Österreich und in der Schweiz), Sie haben dem deutschen Bibliothekswesen etwas an die Hand gegeben, was in der Tat ein Desiderat beseitigte: eine Zeitschrift, die sich mehr oder minder ausschließlich mit Dingen befasst, für die man eine Steckdose und einen Akku braucht. Gratulation zum 12. Jahrgang dieser Zeitschrift, der 13. Jahrgang beginnt in wenigen Wochen.

Selbstverständlich: auf B.I.T.-online haben Sie – mit den Worten des Ingenieurs – kein Patent, der Erfolg hat viele Väter und auch Mütter. Am nachhaltigen Gelingen Ihrer Zeitschrift haben – to name but a few – Herr Dr. Fuhlrott, Frau Dr. Reinitzer und Herr Dr. Treichler einen ebensolchen Anteil; auch soll nicht verschwiegen werden, dass in der Universitätsbibliothek Karlsruhe das Feld, das Sie 1988 übernahmen, bestens bestellt war. Ihr Vorgänger Dr. Dietrich Poggendorf, dem Sie im Jahr 2000 in B.I.T-online in einem noblen Nachruf gedachten, war ebenfalls aus dem Holz der Modernisierer geschnitzt, hatte er doch bereits 1971 (!) die bibliographischen Daten für den alphabetischen Katalog in maschinenlesbarer Form erfassen lassen. Kurzum: Ihnen war das Glück beschieden, kompetente Mitstreiter um sich, vor sich und hinter sich zu wissen, doch wer eine Festrede zu halten hat, darf nicht nach rechts und links blicken, sondern muss sich stur auf die zu feiernde Person konzentrieren. –

Lieber Herr Schütte, niemand hat von Ihnen zusätzlich zu der Erfüllung Ihrer badischen Dienstpflichten auch noch die Arbeit in nationalen Gremien verlangt – das haben Sie sehr freiwillig gemacht, ganz einfach weil Sie – der Beweis sollte nun allmählich erbracht sein – das Nationale nun einmal sehr gereizt hat. Da sind zum einen die berufsständischen Gremien: Sie waren Mitglied des Vorstands der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände, ebenso waren sie stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbands. Wichtiger aber vielleicht noch war Ihr Mitwirken im nun schon zehn Jahre nicht mehr existenten Deutschen Bibliotheksinstitut – 13 Jahre waren Sie dort Mitglied oder Vorsitzender von Kommissionen – bzw. für die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass Sie Vorsitzender des Unterausschusses für Bestandserhaltung waren und in diesem Amt nach 1993 das Förderprogramm „Erhaltung gefährdeter Bibliotheksbestände“ energisch befördert haben. Hierzu nur die Anmerkung, dass die Bestandserhaltung erst in diesem Jahr mit einer namentlichen Erwähnung Einzug in den Koalitionsvertrag der neuen Regierungsparteien gefunden hat. Das sah vor knapp zwanzig Jahren leider noch ganz anders aus, das Bewusstsein für die Restaurierung unseres schriftlichen Kulturerbes war stark unterentwickelt. Zu den Wegbereitern unserer heute wohl endlich erfolgreichen Bestandserhaltungsbemühungen gehörten seinerzeit auch Sie, lieber Herr Schütte. Nicht weniger als vier Millionen DM umfasste das damalige Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft, um ausgewählte Bestände zu verfilmen und eine technische und logistische Infrastruktur für Produktion und Nachweise der Mikrofilme aufzubauen. Der Mikrofilm, von Digitalisierungseuphorikern zwischenzeitlich schon als vorgestrig totgesagt, lebt noch immer – nicht zuletzt auch dank Ihnen, lieber Herr Schütte, und Ihres Engagements, von dem das gesamte deutsche Bibliothekswesen noch heute profitiert.

Lieber Herr Schütte, nach Abschluss der bibliothekarischen Ausbildung wurden Sie an der UB/TIB Hannover im Jahr 1977 Fachreferent für Maschinenbau. Sie wurden dort dann alsbald Abteilungsleiter und stellvertretender Direktor, und 1988 mochten Sie dem badischen Ruf nicht widerstehen und verbesserten sich nach Karlsruhe. So weit so gut, wir wollen nicht das Trennende, sondern das Verbindende betrachten – und was die Bibliotheken in Hannover und Karlsruhe verbindet, ist ihre technisch-naturwissenschaftlich-ingenieurwissenschaftliche Ausrichtung, um die Literaturversorgung der auf diese Fächer spezialisierten Universitäten optimal abzudecken. Wissenschaft und Bibliothek verschränken sich hier sehr nutzbringend: auf eine Spezialisierung in Forschung und Lehre antwortet die zuständige Bibliothek mit einer Verengung ihres Erwerbungsprofils, punktgenau den Literaturbedarf der Institute und Labore abbildend. Sie, Herr Schütte, bewegen sich seit 1977, seit nicht weniger als 32 Jahren, in diesem Metier. Ihr Leben war und ist die Spezialbibliothek, weshalb Sie 16 Jahre lang, von 1990 bis 2006, Mitglied der in Fachkreisen hochangesehenen ASpB, der Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken waren und von 1997 bis 2000 auch den Vorsitz innehatten. Es waren wichtige Jahre für die deutschen Spezialbibliotheken, Jahre, die mit dem Stichwort „Retrokonversion“ zu beschreiben sind und in denen erstmals die Möglichkeit bestand, die konventionellen Zettelkataloge in ein maschinenlesbares Datenbankformat zu übertragen. Die Schätze der Spezialbibliotheken, bis dato nur vor Ort in den Bibliotheken durch das mühsame Blättern durch die langen Karteikastenreihen zu erfassen, erschlossen sich nun via OPAC in ganz neuer Bequemlichkeit und Vollständigkeit. Einer der vielen Väter dieses Quantensprungs heißt Christoph-Hubert Schütte. Auch ihm haben wird es zu verdanken, dass die Sondersammlungen in den Spezialbibliotheken heute kein Geheimwissen mehr sind, sondern Gemeingut.

Ihnen, Herr Schütte, gebührt großer Dank. Sie haben das Lokale und Regionale gestärkt und das Überregionale und Nationale zusätzlich – wie selbstverständlich geschultert. Die erste deutsche Universitätsbibliothek, die mit einer 24-Stunden-Öffnung das Optimum an dienstleistungsorientierter Kundenfreundlichkeit verwirklichte, war: Karlsruhe! Über dem Großen haben Sie das Kleine nicht aus den Augen verloren; doch neben den Aufgaben vor Ort waren Sie über Jahrzehnte hinweg ein verlässlicher Partner für gesamtstaatliches bibliothekarisches Handeln. Es sei an dieser Stelle nur Ihre Mitgliedschaft im Bibliotheksausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft genannt, einem der wirklich entscheidenden Gremien des deutschen Bibliothekswesens. Zwischen 1992 und 1997, wichtigen Jahren, in denen die Weichen für die Digitalisierung historischer Druckschriften durch die Gründung von speziellen Digitalisierungszentren gestellt wurden, haben Sie dankenswerterweise weiter und vorausschauender und verantwortungsbewusster geblickt als nur bis zum Tellerrand bzw. der Stadtgrenze von Karlsruhe. Nicht allein die Studentinnen und Studenten und die Dozentenschaft von Karlsruhe wie auch die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt haben Ihnen heute von Herzen zu danken, sondern zugleich das gesamte deutsche Bibliothekswesen und mehr oder minder jedermann, der schnelle und verlässliche bibliographische Basisinformationen benötigt.

Lieber Herr Schütte, es sei Ihnen heute von allen Seiten von Herzen gedankt. Sie haben in Hannover und anschließend in Karlsruhe Großes geleistet, Sie haben hier in Karlsruhe die Verpflichtung übernommen, die Literaturversorgung einer Elite-Universität zu bewerkstelligen. Man wird deshalb nicht automatisch zu einem Elite-Bibliothekar – Sie, Herr Schütte, sind ein Elite-Bibliothekar. Bleiben Sie auf die eine oder andere Weise dem deutschen Bibliothekswesen bitte noch viele Jahre aktiv erhalten – es wäre zu unser aller Nutzen. Herzlichen Dank!


Autorin

Barbara Schneider-Kempf

Generaldirektorin
Staatsbibliothek zu Berlin
Potsdamer Straße 33
D-10785 Berlin (Tiergarten)
barbara.schneider-kempf@sbb.spk-berlin.de

 


 

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