B.I.T.online - Zeitschrift für Bibliothek, Information und Technologie

Der Empfehlungsdienst BibTip –

Ein flächendeckendes Angebot im Bibliotheksverbund Bayern

von Berthold Gillitzer

„Kunden, die diesen Artikel kauften, kauften auch:“ diese Formel, dieser Service ist inzwischen in den Verkaufsplattformen des Internet zum Standard geworden. Dabei werden Produkte angeboten, die mit dem gerade eben recherchierten Produkt in einem Zusammenhang stehen, dieses Produkt sinnvoll ergänzen. Die Annahme, die hinter solchen Empfehlungen steckt, ist eine ganz einfache: Wenn Menschen Dinge einkaufen, dann kaufen sie gleich das, was zusammengehört auch zusammen ein. Oder anders ausgedrückt, wenn sie sich während eines Einkaufs für zwei Dinge interessieren, dann haben diese Dinge auch inhaltlich miteinander zu tun. Folgende Überlegung kommt hinzu: Wenn sich schon einmal jemand für zwei oder mehrere Dinge in einem Einkauf interessierte, weil sie zusammengehören, dann könnten andere Einkäufer von einem Hinweis darauf profitieren, was zudem das Geschäft befördert.

Es scheint, dass hier reichlich viele Annahmen gemacht werden und es zweifelhaft ist, ob auf diese Weise sinnvolle Empfehlungen zustande kommen können. Menschen kaufen alles Mögliche während eines Einkaufsbummels: Da werden Babywindeln zusammen mit Rüben und CD-Rohlingen in einen Einkaufswagen geworfen. Kann aus so etwas eine Empfehlung für einen anderen Kunden entstehen?

Offensichtlich ja – schließlich kennt inzwischen nahezu jeder Internetnutzer den Wert sinnvoller Empfehlungen, die etwa zu einem Elektrogerät das passende Zubehör bieten oder zu einem Titel beim Online-Buchhändler andere vielleicht unbekannte Titel, die dasselbe Thema behandeln. Möglich werden dererlei Empfehlungen durch aufwändige statistische Verfahren, die zufällige und unsinnige Paarungen im Einkaufswagen aussondern und nur die zurücklassen, die wirklich gemeinsam von Interesse sind. So erst wird der implizite, verhaltensbasierte Recommenderdienst zu einem sinnvollen Service.

Empfehlungslisten auch für den OPAC der Bibliotheken: BibTip

Was im Internethandel funktioniert, kann auch im OPAC der Bibliotheken zur Anwendung gebracht werden, wenn es gelingt, dort – ähnlich dem Warenkorb im Handel – zu identifizieren, wann sich ein Benutzer innerhalb einer Session für zwei thematisch zusammengehörige Titel interessiert. Genau dies leistet der Recommenderdienst BibTip, entwickelt von der UB Karlsruhe zusammen mit dem Institut für Informationswirtschaft und -management der Universität Karlsruhe. Er generiert zu einem einzelnen Titel jeweils eine Liste weiterer Titel, für die sich andere Nutzer, die diesen Titel zuvor recherchiert haben, auch noch interessierten.

Zu diesem Zweck überträgt der Dienst die Funktionsweise schon bekannter Recommendersysteme in die Welt der Bibliothekskataloge, also auf den OPAC der Bibliothek. Es wird anonym aufgezeichnet, welche Titel von einem Benutzer innerhalb einer Session recherchiert werden. Zunächst muss dann geklärt werden, an welcher Aktion im OPAC das Interesse des Benutzers festgemacht wird. Zweifelsfrei bringt ein Benutzer durch die Bestellung eines Buches zur Ausleihe sein Interesse zum Ausdruck. Allerdings ist die Ausleihbestellung auch von der Verfügbarkeit des Buches und nicht allein vom Interesse des Nutzers abhängig. Und sogar wenn das Buch verfügbar wäre, muss das Interesse des Benutzers nicht so groß sein, dass er ein thematisch verwandtes Buch auch tatsächlich bestellt, weil er sich z.B. aus arbeitsökonomischen Gründen zwischen mehreren Titeln entscheiden muss. Die Datenbasis für aussagekräftige Empfehlungslisten wäre auf diese Weise zu klein und durch äußere Faktoren sachfremd beschränkt. Prinzipiell verwendet deshalb BibTip den gezielten Vollformataufruf eines Treffers aus der Kurztrefferliste für die Generierung der Empfehlungslisten.

Schon in einer ganzen Reihe von Bibliothekskatalogen kommt dieser Dienst mit Erfolg zum Einsatz, allen voran im OPAC der UB Karlsruhe, die bei der Entwicklung dieses Service beteiligt war. Im November 2008 konnte auch im OPAC der Bayerischen Staatsbibliothek der Empfehlungsdienst angeboten werden. Weil hier schon aus der Kurztrefferliste weiterführende Funktionen aufrufbar sind, wurde auch der Aufruf der Verfügbarkeit in die Berechnung der Empfehlungslisten einbezogen, weil sonst keine aussagekräftigen Empfehlungslisten generiert worden wären. In Folge dieser kleinen Anpassung entstanden jedoch sehr gute Empfehlungslisten. Mit einem geringen Ausmaß an individuellen Anpassungen zur Integration dieses Dienstes in einen OPAC ist deshalb zu rechnen. Durch die reichhaltige Erfahrung, die bei den Mitarbeitern von BibTip vorliegt, sind hier allerdings keine prinzipiellen Probleme zu erwarten.

Wenn also zwei oder mehrere Titel innerhalb einer Session im Vollformat gezielt aufgerufen werden – kein Blättern in einer Liste – oder ihre Verfügbarkeit überprüft wird, kommen sie prinzipiell für die Empfehlungslisten in Frage. Erst durch ein statistisches Verfahren, das auf einem Random Noise Modell basiert und im Hintergrund die Häufigkeit der gemeinsamen Recherche in Beziehung zur Häufigkeit der Recherche des einzelnen Titels setzt, werden dann die tatsächlichen Empfehlungslisten generiert. Vollformataufrufe aus einer Empfehlungsliste heraus werden jedoch ignoriert, um Selbstverstärkungseffekte und eine verzerrte Wahrnehmung des Nutzerinteresses zu vermeiden. Eine Überprüfung am Katalog der BSB beweist den Erfolg des Verfahrens: Die so generierten Empfehlungslisten enthalten durchweg relevante Titel.


OPACplus der Bayerischen Staatsbibliothek mit Einblendung einer Empfehlungsliste im Vollformat

Wie kommen nun aber die Empfehlungslisten in den OPAC? Auf technische Einzelheiten soll hier nicht eingegangen sondern nur das prinzipielle Vorgehen geschildert werden. Zunächst ist dabei zu betonen, dass BibTip einen Service darstellt, also keine Software, die von der jeweiligen Bibliothek betrieben werden muss. Lokal sind lediglich kleine Modifikationen am OPAC vorzunehmen. Zum einen sorgt ein Javaskript dafür, dass die Recherchedaten bzw. die Titeldaten der jeweiligen Vollformataufrufe oder Verfügbarkeitsrecherchen an BibTip übermittelt werden. Als eindeutiger Identifikator für den Titel wird an der Bayerischen Staatsbibliothek der Katalogschlüssel zusammen mit einer kurzen bibliographischen Angabe zum Titel über eine Art Open-URL-Schnittstelle an BibTip übergeben. Auf dieser Grundlage wird dann auf dem BibTip-Server die Berechnung der Empfehlungen im Hintergrund vorgenommen und die entsprechenden Listen zu den jeweiligen Titeln generiert.

Weiter wird mittels Javaskript, das beim Aufruf eines Vollformats beim BibTip-Server anfragt, ob für diesen Titel eine Empfehlungsliste vorliegt, diese Liste, falls vorhanden, dort abgeholt und im OPAC als Mashup einblendet. Damit sind die lokalen Aufgaben schon erledigt.

Recommenderdienst: Ein zusätzlicher Informationsservice für den Nutzer

Worin liegen nun die Vorteile für den Nutzer des OPACs? Prinzipiell wird er bei seinen Recherchen auf Titel aufmerksam gemacht, die mit dem von ihm recherchierten Titel sachlich zusammenhängen und für ihn somit ebenfalls interessant sein könnten. Zum anderen können solche Empfehlungslisten auch spezifizieren, worum es bei dem zunächst gesuchten Titel wirklich geht. Aus dieser Perspektive können sie als eine Ergänzung der sachlichen Erschließung betrachtet werden. Benutzer schätzen an dem Service auch, dass auf diese Weise das „Umfeld“ eines Buches abgebildet, gewissermaßen also ein Regalabschnitt im OPAC eingeblendet wird. Interessant ist hierbei, dass zum einen diese zusätzliche Information automatisch entsteht, ganz allein aus der Auswertung des Rechercheverhaltens der Nutzer, ohne einen weiteren personellen Aufwand in der Bibliothek zu erfordern. Zum anderen entwickelt sich diese Information auch weiter. Die Listen wachsen nicht nur an, vielmehr wird in die Berechnung der Empfehlungen auch einbezogen, wie lange zugrundeliegende Recherchen schon zurück liegen, so dass alte Empfehlungen neuen aktuellen Titeln Platz machen.

Selbstverständlich kann nicht der gesamte Bibliotheksbestand mit solchen Empfehlungen erschlossen werden, da nicht alle Titel ständig von den Benutzern recherchiert werden. Es sind vielmehr vor allem die Teile des Bestandes für die z.B. ein aktuelles Forschungsinteresse besteht. Und auch hier wachsen die Empfehlungslisten nur mit der Zeit, bis eben durch das Rechercheverhalten der Nutzer entsprechende Häufigkeiten festgestellt werden können. Dem Einsatz bzw. der Freischaltung von BibTip geht deshalb immer eine Beobachtungsphase voran, in der Nutzungsdaten erhoben werden, um daraus entsprechende Empfehlungslisten zu generieren. Ist ein Abdeckungsgrad mit Empfehlungen bei den Volltitelaufrufen von 10 % in einem OPAC erreicht, wird BibTip zur Probe produktiv freigeschaltet. Nach 4 Wochen beginnt dann der kostenpflichtige Lizenzierungszeitraum. Wie lange dieser erste Zeitraum der Beobachtung vor dem Testbetrieb dauert, ist zum einen von der Größe des Bestands abhängig, zum anderen von der Häufigkeit seiner Nutzung.


Entwicklung der Abdeckung der Vollformataufrufe mit Empfehlungslisten an der Bayerischen Staatsbibliothek

Positives Benutzerfeedback bei Einführung des Recommenderdienstes

Die Rückmeldungen der Benutzer auf die Einführung von BibTip an der Bayerischen Staatsbibliothek waren von Anfang an durchweg positiv. Die Empfehlungen werden generell als Bereicherung empfunden. Mehrfach wurde die Ansicht geäußert, dass die Bibliothek damit endlich einen aus dem Web eigentlich schon gewohnten Standard erreicht habe. Auch hier bestätigt die Statistik den Erfolg. Bei ca. 15 % der eingeblendeten Empfehlungslisten erfolgt auch der Aufruf einer Empfehlung. Da es sich hierbei nicht um eine der Kernfunktionalitäten des OPACs handelt, sondern um ein informatives Zusatzangebot, ist dies als ein ausgesprochen hoher Wert anzusehen.

BibTip für den Bayerischen Bibliotheksverbund

Die guten Erfahrungen an der Bayerischen Staatsbibliothek und der zweifellos gegebene Wert für den Nutzer ließen in den Gremien des Bibliotheksverbundes Bayern schnell den Gedanken aufkommen, den Service auch für die Nutzer weiterer Bibliotheken im Verbund zugänglich zu machen. Begünstigend kommt für den Bibliotheksverbund Bayern hinzu, dass durch die einheitliche Lokalsystemumgebung mit einem durchgehenden Einsatz von Sunrise OPACs bzw. Infoguide von OCLC schon auf die Erfahrungen der Bayerischen Staatsbibliothek zurückgegriffen werden kann. Für die Integration des Service in die weiteren Systeme ist deshalb mit keinen Schwierigkeiten zu rechnen.

Der Bibliotheksverbund Bayern hat deshalb den richtungsweisenden Schritt getan, mit der BibTip GmbH einen Konsortialvertrag für alle Universitätsbibliotheken, Fachhochschulbibliotheken, die regionalen staatlichen Bibliotheken und die Bayerische Staatsbibliothek auszuhandeln. Erleichtert wird dieser Schritt durch eine zentrale Anschubfinanzierung des bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Die exakten Vertragsmodalitäten sind noch Gegenstand der Verhandlung, vor allem auch, was den genauen Beginn des Lizenzierungszeitraums betrifft. In Diskussion ist derzeit ein Modell, nachdem der Zeitraum einheitlich beginnt, wenn bei einem bestimmten Prozentsatz der beteiligten Bibliotheken eine Abdeckung der Vollformataufrufe mit Empfehlungen von 10% erreicht ist. Durch die gemeinsame Lizenzierung des Dienstes für 30 Bibliotheken und das Gateway Bayern, die zentrale Suchumgebung für den Verbundkatalog, wird ein gleichmäßig hohes Niveau der Endnutzerservices in den bayerischen wissenschaftlichen Bibliotheken sichergestellt. Dass eine konsortiale Lizenzierung auch zu günstigeren Konditionen führt, bedarf eigentlich kaum der Erwähnung.

In diesem Zusammenhang ist eine Weiterentwicklung des Empfehlungsdienstes von besonderer Bedeutung: 2010 wird BibTip ein sogenanntes Recommendation-Sharing anbieten. Empfehlungslisten werden dann nicht nur anhand der Recherchen im eigenen Bestand generiert, sondern können aus einem Pool übernommen werden, in dem zu den jeweiligen Titeln auch Empfehlungslisten aus anderen Bibliotheken abgespeichert werden. Dabei erfolgt selbstverständlich ein Abgleich mit dem jeweiligen Bibliotheksbestand, damit dem Benutzer nur Titel angeboten werden, die in seiner Bibliothek auch tatsächlich zur Verfügung stehen.

Die Abdeckung des Bestands und der Vollformataufrufe mit Empfehlungslisten wird sich damit nochmals deutlich verbessern.

Weitere Informationen zu BibTip unter http://www.bibtip.org


Autor

Dr. Berthold Gillitzer

Bayerische Staatsbibliothek
Benutzungsabteilung
80328 München

 


 

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