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"Nur was sich ändert, bleibt ..."1
- Zehn Jahre Hochschulausbildung im bibliothekarischen Bereich

Zwischen den 90er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts und dem Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Hochschullandschaft in Deutschland vollkommen verändert.

Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa durchlaufen die Hochschulen einschneidende Strukturprozesse. Motor für die Reformen und Veränderungen ist der so genannte Bologna Prozess. Die Bologna Declaration, die am 19. Juni 1999 von den Erziehungsministern aus 29 Ländern Europas unterzeichnet worden war, hatte als wichtigstes Ziel die Schaffung eines europäischen Bildungsraums "European Higher Education Area (EHEA)". Das beinhaltete neben der Einführung von gestuften Studienabschlüssen die zunehmende Gleichstellung von Universitäten und Fachhochschulen.

Zu den wichtigsten Ansätzen der Hochschulreformen in Deutschland zählen:

  • die Erleichterung der Mobilität der Studenten
  • die Einführung gestufter Studiengänge und Studienabschlüsse (Bachelor/Master)
  • die Erhöhung der Transparenz von Lehre und Studium
  • die Verkürzung der Studiendauer
  • das Studium im Rahmen des lebenslangen Lernens.

Diese Forderungen wurden durch die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes von 1998 ermöglicht. Die Reformen wurden vor allem durch die Einführung von internationalen Studienabschlüssen, d.h. von Bachelor- und Masterabschlüssen und durch die Einführung von Leistungspunkten/Credit Points realisiert.

Die Bachelor- und Masterstudiengänge müssen akkreditiert werden. Aufgabe eines Akkreditierungsverfahrens ist die Gewährleistung fachlich inhaltlicher Mindeststandards und die Überprüfung der Berufsrelevanz der Abschlüsse. Die Akkreditierungsverfahren werden im Wesentlichen von fachlich oder regional ausgerichteten Akkreditierungsagenturen durchgeführt. Es gab neben den strukturellen Veränderungen auch große institutionelle Umwälzungen, die allerdings nicht nur auf die bibliothekarisch orientierten Hochschulen oder Studiengänge fokussiert waren, sondern für die gesamte Hochschullandschaft in Deutschland galten. Beispielsweise wurden vielerorts kleinere, selbständige Studienrichtungen zu Fakultäten zusammengefasst.

Bibliothekarische Hochschullandschaft vor rund zehn Jahren

Die bibliothekarisch-orientierte Hochschulausbildung wird in Deutschland traditionell an Fachhochschulen durchgeführt (Ausnahme Humboldt Universität in Berlin). Es gab vor zehn Jahren noch zehn Einrichtungen, in denen man bibliothekarische Studienrichtungen wählen konnte: Berlin, Bonn, Frankfurt, Darmstadt, Hamburg, Köln, Leipzig, Potsdam, Stuttgart, München. Die Fachhochschule für das öffentliche Bibliothekswesen in Bonn wurde 2004 geschlossen. Die Bibliotheksschule in Frankfurt wurde aufgelöst und wurde als Schwerpunktfach im Studiengang "Informations- und Wissensmanagement" der Fachhochschule Darmstadt integriert. Die Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen in Stuttgart wurde mit einer anderen Fachhochschule und zwar für die Gebiete Druck und Medien fusioniert zur Hochschule der Medien. Die früher selbständigen Fachbereiche wurden mit anderen verwandten oder manchmal auch sehr unterschiedlichen Studiengängen in der Regel zu Fakultäten zusammengelegt (z.B. Fakultät Medien, Information und Design an der FH Hannover oder Fakultät Information und Kommunikation an der HdM Stuttgart). Heutzutage firmieren diese Studiengänge unter unterschiedlichen Begrifflichkeiten wie "Institut" oder "Department" (z.B. Institut für Informationswissenschaft an der FH Köln oder Department Information an der HAW Hamburg).

Diese Umstrukturierungen wurden vorwiegend aus Ersparnisgründen durchgeführt und mit erwünschten Synergieeffekten begründet. In der Regel bedeuteten diese neuen Zuschnitte immer den Verlust an Eigenständigkeit, wobei aber auch ein Gewinn durch neue Partnerschaften entstehen konnte bzw. Synergieeffekte langsam eintreten.

Früher gab es Studienrichtungen speziell für Öffentliche Bibliotheken und für wissenschaftliche Bibliotheken. Es gab den Abschluss Diplom-Bibliothekar für Öffentliche Bibliotheken und den Abschluss Diplom-Bibliothekar für wissenschaftliche Bibliotheken. Die ersten "spartenfreien" Absolventen gab es in den siebziger Jahren. Sie kamen damals von der Fachhochschule Hamburg. Erst langsam wurde die Spartentrennung aufgegeben. Heutzutage gibt es diese spezialisierten Studienrichtungen nicht mehr.

Die Inhalte der bibliothekarisch-orientierten Studiengänge orientieren sich nicht mehr an Institutionen, wie Öffentliche oder wissenschaftliche Bibliotheken, sondern an unterschiedlichen Handlungsfeldern. Zu den inhaltlichen Schwerpunkten zählen Informationstechnologie, Information Research, Wissensorganisation, Informations- und Medienmanagement, Public Management, Kultur- und Medienarbeit, Informationsgesellschaft und Informationsstrukturen, zielgruppenorientierte Dienstleistungen und die Vermittlung von Informationskompetenz.

Daneben ist in den letzten Jahren eine Diversifikation von bibliothekarisch ausgerichteten Studiengängen festzustellen. Neben den traditionellen Studiengängen entstanden neue Studiengänge mit ähnlichen Inhalten, aber anderen Schwerpunkten, beispielsweise Informationsdesign oder Informationswirtschaft.

Früher dauerte das bibliothekarische Studium in der Regel dreieinhalb oder vier Jahre und endete mit dem Diplom (FH). Die Praxisorientierung des Studiums wurde durch unterschiedlich lange Praktika akzentuiert. Es gab Kurzpraktika ab vier Wochen bis hin zum halbjährlichen Praxissemester.

Heutige Situation

Zur Zeit kann man an acht Fachhochschulen und einer Universität bibliothekarisch-orientierte Studienrichtungen wählen: Daneben gibt es eine große Anzahl stärker informationswissenschaftlich ausgerichteter Studiengänge.

Die Hochschulen stecken mitten im Bologna-Prozess, d.h. die meisten Hochschulen haben ihre alten Diplom-Studiengänge bereits auf Bachelorabschlüsse umgestellt sowie Leistungspunkte eingeführt. Pro Studienjahr werden in der Regel 60 Leistungspunkte vergeben, also 30 pro Semester. Für einen Leistungspunkt wird eine Arbeitsbelastung (Work Load) des Studierenden im Präsenz- und Selbststudium von 30 Stunden angenommen. Für den Bachelor-Abschluss benötigt man mindestens 180 Credit Points.

Die Bachelor-Studiengänge dauern in der Regel sechs oder sieben Semester, d.h. es musste eine Verkürzung bzw. Verdichtung des Studiums erfolgen. Es kann nicht negiert werden, dass die Verkürzung des Studiums im Vergleich zu den früheren Diplom-Studiengängen Auswirkungen auf die Inhalte des Studiums hat. Einige Inhalte können nicht mehr so vertiefend wie bisher vermittelt werden. Spezialisierungen werden in den Master-Bereich verlagert werden. Von den Studierenden wird im Studium sehr viel mehr Eigenarbeit erwartet. Dies wird durch die Vergabe der Credit Points unterstützt. Diese Umstellung auf ein modular aufgebautes Studium bietet aber große Chancen. Durch die Straffung der Inhalte werden die Studierenden zu einem leistungsorientierten Studium motiviert. Studienbegleitende Prüfungen erlauben es den Studierenden, regelmäßig ihren eigenen Leistungsstand zu kontrollieren.

Durch die Verkürzung der Studienzeiten bei den BA-Studiengängen stellte sich den Hochschulen die Frage, wie sie mit den Praxisanteilen umgehen sollten. Sollten diese Praktika weiterhin integraler Bestandteil des Studiums bleiben oder außerhalb der Studienzeiten absolviert werden? Es zeigt sich, dass die Hochschulen, die bereits auf BA umgestellt haben, weiterhin integrierte Praxissemester durchführen, die circa ein halbes Jahr dauern. Nur in der Humboldt-Universität werden kurze, d.h. siebenwöchige Praktika, verlangt. Damit Praxisphasen als integraler Teil des Studiums von den Akkreditierungsagenturen akzeptiert werden, müssen sie durch die Vorlesungen vor- und nachbereitet werden, d.h. fest in die Curricula verankert sein. Das dient dazu, die theoretische Auseinandersetzung mit den praktischen Tätigkeiten bzw. Arbeitsfeldern zu vertiefen.

Bibliothekarisch-orientierte Master-Studiengänge

In Deutschland sind in der Zwischenzeit unterschiedliche Master-Angebote realisiert bzw. in Planung. Ein Masterstudiengang kann entweder "stärker anwendungsorientiert" oder "stärker forschungsorientiert" ausgerichtet sein. Solche Studiengänge können als direkte Fortführung eines vorausgegangenen Bachelor- oder Diplomstudiengangs (konsekutiver Master) oder als Weiterbildungsstudiengang konzipiert werden. Für die Zulassung zu einem Weiterbildungsmaster wird eine Phase der Berufspraxis vorausgesetzt (nicht unter einem Jahr). Er ist in der Regel gebührenpflichtig. Bei Weiterbildungsmastern werden auch Teilzeitstudiengänge angeboten. Voraussetzungen für die Zulassung zu einem Masterstudiengang sind in der Regel bestimmte Notendurchschnitte. Die Regelstudienzeit für einen Masterstudiengang dauert je nach Angebot zwischen einem und zwei Jahren. Für den konsekutiven Masterabschluss sind insgesamt 300 Credit Points erforderlich. Diese Punktzahl schließt die im vorherigen Studium erbrachten Punkte mit ein.

Die an Fachhochschulen erworbenen Masterabschlüsse eröffnen nach der geltenden Vereinbarung der Innenministerkonferenz vom Dezember 2007 den Zugang zum höheren Dienst. Diese Abschlüsse verleihen dieselben Berechtigungen wie die früheren Diplom- und Magisterabschlüsse der Universitäten und gleichgestellten Hochschulen.

Die FH Darmstadt bietet seit SS 2007 den MA-Studiengang Information Science & Engineering / Informationswissenschaft sowie die HdM Stuttgart seit WS 07/08 Bibliotheks- und Informationsmanagement an. Die HAW Hamburg wird im WS 08/09 mit dem MA-Studiengang Informationswissenschaft und -management beginnen, die HTWK Leipzig voraussichtlich ab SS 2010 mit einem dreisemestrigen konsekutiven Master Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Die FH Hannover bietet demgegenüber einen berufsbegleitenden Weiterbildungsmaster Informations- und Wissensmanagement an, der als Teilzeitstudiengang konzipiert ist. Er dauert drei Semester und kostet ? 1500,- pro Semester. Er wird nur alle zwei Jahre angeboten. Die Humboldt-Universität bietet den postgradualen Fernstudiengang "Bibliotheks- und Informationswissenschaft (Library and Information Science)" an, der ? 1250,- pro Semester kostet. Sie plant den MA-Studiengang "Bibliotheks- und Informationswissenschaft" im Direktstudium (ab WS 08/09). Die FH Köln plant ab SS 2009 den berufsbegleitenden MA-Studiengang Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Zurzeit führt sie noch den Aufbaustudiengang zum "Master of Library and Information Science" durch. Dieser MA-Studiengang nahm allerdings keine Fachhochschulabsolventen auf. Diese besondere Regelung war nötig, nachdem die theoretische Ausbildung für den höheren Dienst nicht mehr an der FH Köln durchgeführt werden konnte.

Neben den Masterstudiengängen gibt es zurzeit in Deutschland als postgraduale Ausbildung die Möglichkeit der beamteninternen Ausbildung. Die Bayerische Bibliotheksschule in München bietet diese zweijährige verwaltungsinterne Ausbildung an, außerdem kann seit kurzem auch an der Humboldt-Universität die Referendarausbildung für den höheren Bibliotheksdienst mit Staatsexamen absolviert werden.

Wie hat sich die Hochschulausbildung verändert?

Zusammenfassend kann festgestellt werden: der Abschluss als Diplom-Bibliothekar steht vor dem Aus. Die Einführung von Bachelorstudiengängen ist bereits fast überall erfolgt. Die beamteninterne Hochschulausbildung ist nur noch in Bayern vorzufinden. Die Referendariatsausbildung ist rückläufig - dafür beginnen Masterangebote sich flächendeckend zu etablieren.

Nach der Bologna Vereinbarung sollen die gestuften Studienstrukturen mit Bachelor- und Masterabschlüssen bis zum Jahre 2010 umgesetzt werden, das heißt, bis spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen die Hochschulen die internationalen Studienabschlüsse eingeführt haben. Auf die bibliothekarisch bezogenen Hochschuleinrichtungen kann man feststellen, dass bis zu diesem Zeitpunkt alle "alten" Diplomstudiengänge abgeschafft werden.

Die Zukunft wird zeigen, wie sich die Absolventen der neuen Studiengänge in der Praxis bewähren werden.

Prof. Dr. Ute Krauß-Leichert
Hochschule für Angewandte Wissenschaft Hamburg (HAW)

 


1. "Nur was sich ändert, bleibt" war das Motto des 88. Bibliothekartages in Frankfurt a. M. 1998.