25. April 2024

– 24. März 2015 –

© HighWire, Louise Page, Vice President,
Publisher Relations & Business Development
Vera Münch
„Digitale Technologien gehören für Bibliotheken seit Jahrzehnten zum Arbeitsalltag” - Barbara Schneider-Kempf, Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin in ihrem Grußwort zu Beginn der APE 2015.
Vera Münch
Dirk Pieper, Dezernatsleiter Medienberatung der Universitätsbibliothek (UB) Bielefeld, zeigte in seinem Vortrag, welche neuen Herausforderungen durch APC auf eine akademische Einrichtung zukommen.

... und plötzlich lieben die Verlage Open Access

Bericht über die Fachkonferenz APE 2015 (Academic Publishing in Europe)
unter dem Motto „Web25: The road ahead“, Berlin, 20.-21. Januar

Vera Münch

Nach einer Dekade der Verwirrung und des Rätselratens, wie sich das akademische Publizieren unter dem Einfluss der weltweiten Forderung nach freiem Zugang zu publiziertem Forschungswissen entwickelt, blitzte auf der APE 2015 erstmals wieder eine Richtung auf. Wenn, wie es sich zur Finanzierung von Open-Access-Publikationen gerade einspielt, derjenige bezahlt, der die Veröffentlichung des Aufsatzes, Buches oder Videos in Auftrag gibt, ist für Verlage weiterhin ein gutes Geschäft drin.

Autorenfinanziertes Publizieren1 senkt das verlegerische Risiko, und machen muss die Arbeit schließlich jemand.

Für Bibliotheken erwachsen aus der Umkehr des Bezahlmodells wieder neue Aufgaben. Sie sollen und können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bei der Finanzierung der Publikationen unterstützen, etwa durch die Übernahme der Verwaltung, Abrechnung und Kontrolle der Gebühren für das Verlegen von Open-Access-Aufsätzen, der sogenannten article processing charges (APC). Außerdem können sie die Verfasser beraten, welche Rechte diese mit den verschiedenen CC-BY-Lizenzen an wen abtreten.

APC und CC-BY waren neben der grundsätzlichen Erörterung der Auswirkungen von Open Access die am meisten behandelten Themen der diesjährigen Konferenz. Und Brüssel, so war zu erfahren, schwenkt von Open Access in Richtung „einer breiteren Vision einer für alle Menschen offenen Wissenschaft: Open Science“.

„Das Wichtigste für uns sind DOIs auf den Rechnungen“, erklärte Dirk Pieper den rund 220 Teilnehmerinnen und -teilnehmern, von denen gut die Hälfte aus der gehobenen Managementebene internationaler Wissenschaftsverlage kam. Alle hörten ihm aufmerksam zu. Die auf den ersten Blick nach Erbsenzählerei klingende Bitte um die eindeutige Kennzeichnung digitaler Publikationen durch einen Objektidentifikator hat große Bedeutung für die effiziente Abwicklung der APC-Gebühren. Ebenso die weiteren Punkte auf der Wunschliste aus Sicht eines Kunden, die der Derzernatsleiter Medienberatung der Universitätsbibliothek (UB) Bielefeld in seinem Vortrag über APC an einer akademischen Einrichtung an sie herantrug. Pieper legte den Anbietern ans Herz:

  • einfache Submissionssysteme für Autoren bereitzustellen,
  • abgelehnte Artikel zu kennzeichnen,
  • Autoren nicht mit administrativen Aufgaben zu belasten,
  • dafür zu sorgen, dass Verfasser/in und Einrichtung zuverlässig identifiziert werden können,
  • Rechnungen nach dem ESAC2-Standard auszustellen und
  • Artikel-Metadaten über CrossRef bereitzustellen (mit Submissions- und Publikationsdaten, Lizenzinfomation, Autoren-IDs, Download-Formaten usw.).

Die Umkehr des Bezahlmodells für Publikationen bedeutet eine radikale Veränderung der computergestützten Verwaltungsabläufe in Verlagen wie in Bibliotheken. Die neuen Workflows müssen neben den bestehenden Prozessen eingerichtet und sinnvoll an die Geschäftsgänge angebunden werden, mit denen Bibliotheken das Mischangebot aus Kauf, Subskription, bezahlten oder unbezahlten Artikeln aus hybriden Journalen und echten Open Access Journalen derzeit abwickeln. Hierzu empfahl Pieper den Verlegern und Open Access Dienstleistern, für APC kein eigenes Datenmodell zu entwickeln, sondern insbesondere die existierenden Dienste DOI und CrossRef zu nutzen. Am Beispiel einer Publikation des Open-Access-Verlags Hindawi3 verdeutlichte er, welche Metadatenqualität auf Artikelebene Bibliotheken von Verlagen erwarten4. Er zeigte auch auf, wie Bibliotheken, Verlage und die neuen Dienstleister der Open Access Branche seiner Meinung nach zusammenarbeiten können, um allen Beteiligten das Leben zu erleichtern.

Ihre Kompetenz im Umgang mit elektronischen Medien sowie die zunehmende Direkteinbindung der Forschenden in den Publikationsprozess macht Bibliotheken für Verlage und Publikationsdienstler nicht mehr nur als Kunden, sondern jetzt auch als Technologiepartner interessant. Auf der APE 2015 war mehr als einmal die Aufforderung zu hören, das Dreieck „Verlage, Bibliotheken, Forschende“ zusammenzufügen.

Open-Access-Abrechnung verursacht komplizierte Workflows

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Dr. Ralf Schimmer, Leiter der Max Planck Digital Library, moderierte auf der APE den Konferenzbock zum Aufbau einer Infrastruktur für die Abrechnung von Open Access Publikationsgebühren über APC.

Neben Pieper sprachen in dem vom Leiter der Max Planck Digital Library, Dr. Ralf Schimmer, moderierten Konferenzbock zur „praktischen Seite von Open Access – dem Aufbau einer APC-Abrechnungsinfrastruktur“ Veronika Spinka, Open Access Managerin bei Springer, Heidelberg, Richard Wynne, stellvertretender Verkaufs- und Marketingleiter beim Softwarehaus Aries Systems Corporation (welches die seit 1986 eingeführte Suchmaschine Knowledge Finder für biomedizinische Literatur und Daten entwickelt hat) und Jake Kelleher, Seniordirektor für Lizensierung und Geschäftsentwicklung beim Copyright Clearance Center (CCC), Amsterdam. CCC ist ein weltweit agierender Makler für Urheber- und Verlagsrechte, der seine Dienste für Online-Services seit über 30 Jahren anbietet. Spinka betonte, dass die Vereinfachung der APC-Abwicklungsvorgänge für alle Arten von Open-Access-Angeboten äußerst wichtig sei, ganz besonders aber für die Umsetzung von OA im großen Maßstab. In ihrem Vortrag stellte sie dar, welche Veränderungen APC in den Abwicklungsprozessen der Verlage erfordert. Kelleher präsentierte die CCC-Plattform RightsLink©5 für Open Access. Diese spielt mit Aries-Lösungen zusammen. Sowohl Wynne als auch Kelleher sagten, dass Open Access sehr komplizierte Workflows verursacht hat. „Open Access beginnt bereits bei der Einreichung des Manuskriptes, der Submission“, machte Wynne die neue Vernetzung zwischen Autor, Verlag und zahlender Einrichtung deutlich und erklärte, dies hätte zu einer Erhöhung der Kosten geführt. Kelleher ergänzte, Rechnungsstellung, Berichte und die Einhaltung vorgegebener Regeln (Compliance) seien schwieriger geworden.

Creative Commons ist nicht gleich CC-BY

Untrennbar verknüpft mit Open Access ist die Notwendigkeit der rechtlichen Definition, zu welchen Bedingungen Dritte die offen zugänglichen Publikationen teilen, und weiterverwenden dürfen. Weil kaum jemand sein geistiges Eigentum völlig verschenkt, haben sich zur Regelung der Veröffentlichungsrechte Creative-Commons-Lizenzen (CC) verbreitet. Doch je mehr sich Open Access durchsetzt, desto vielfältiger werden die Varianten. Nach zehn Jahren Entwicklung und Fortschreibung ist CC-BY mittlerweile bei Version 4.0 International6 angekommen und hat vier Derivate, die einzeln oder untereinander kombiniert verwendet werden können: CC-BY (Namensnennung des Verfassers), CC-BY-SA (Share alike – Namensnennung und weiterverbreiten nach denselben Bedingungen, unter denen das Original bereitgestellt ist), -NC (Non Commercial – keine kommerzielle Verwertung) und -ND (No Derivative – es sind keine Veränderungen des Inhalts erlaubt). Auf der Webseite Bildersuche.org gibt es eine hübsche Grafik von Martin Mißfeldt7, die CC-BY-Lizenzen übersichtlich erklärt (auch wenn dort noch Version 3.0 steht).

Wellcome befürwortet CC-BY, Rechtsanwälte haben Bedenken

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Robert Kiley, Leiter Digital Services des Wellcome Trust und amtierender Leiter der Wellcome Bibliothek ist ein großer Verfechter der CC-BY-Lizenz. Davon abrücken würde er, wie er sagte, erst, „wenn bewiesen wird, dass CC-BY der Wissenschaft schadet“.
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Alex D. Wade, Direktor für wissenschaftliche Kommunikation der Microsoft Forschung, ließ die Teilnehmer der APE 2015 weit in die Zukunft blicken: Cortana, die proaktive virtuelle Assistentin aus dem Microsoft-Labor, wird eine neue Art der Informationssuche in Microsoft-Umgebungen möglich machen, z.B. in der neuen Microsoft-Excel-Cloud: http://www.microsoft.com/en-us/powerbi/default.aspx

Konferenzprogramm und Videomittschnitte
der APE 2015 im Web

Das Programm der APE 2015 wird mit Abstracts auf der Konferenzwebseite zur Einsicht bereitgestellt. Die gesamte Konferenz wurde mitgeschnitten. Die Videoaufzeichnung sind über die Webseite verlinkt. Zudem wird ein Sonderheft von „Information Services & Use“ (Ausg. 35; 1, IOS Press) mit Aufsätzen vieler Vortragender produziert. Es steht ab Mitte des Jahres Open Access zur Verfügung. Tweets zum Nachlesen gibt es auf Twitter unter dem Hashtag #ape2015, viele mit weiterführenden Links.

Auch die Agenda des nicht minder spannenden Fortbildungstages am Montag vor der Hauptkonferenz kann auf der Webseite eingesehen werden. Auf der Vorkonferenz konnte der Nachwuchs der Branche in lockerer Workshop-Form mit renommierten Fachleuten Themen wie das Informationsbeschaffungsverhalten der mit dem Web groß gewordenen Generation oder die Erwartungen von Netz- und Social-Media-affinen Forschenden in Bezug auf Publikationsdienstleistungen diskutieren. Zudem wurden innovative Neuheiten vorgestellt, darunter die Open-Source-Entwicklung „Open Journal System“ (OJS), präsentiert von Dulip Whitanage von der UB Heidelberg und Božana Bokan von der FU Berlin. Über OJS ist ein ausführlicherer Fachbericht für Heft 3/2015 von b.i.t.online in Vorbereitung.

http://www.ape2015.eu/
http://www.ape2015.eu/html/program_pre.html
http://www.iospress.nl/journal/information-services-use/

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Efke Smit (stehend), Direktorin für Standards und Technologien beim Verlegerverband STM fragte das Publikum, welche Zukunftschancen es den neuen Geschäftsideen der „Dotcoms-to-watch“ gibt. (v.l.n.r. Oliver Acher, Sample of Science; Nicko Goncharoff, Digital Science; Max Mosterd, INCEND; Deepika Bajaj, RedLink; David Sommer, KUDOS)

„Dotcoms-to-watch“

In der APE-Session „Dotcoms-to-watch“ können junge Unternehmen in 15minütigen Vorträgen ihre neuen Produkte und Dienstleistungen für den akademischen Informations-, Publikations- und Wissensvermittlungsmarkt vorstellen. Der Konferenzblock ist ein anderthalbstündiges Feuerwerk kreativer Geschäftsideen. Für die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer ist das „die Chance, eine neue Generation von Disruptoren kennenzulernen“, wie die Moderatorin Drs. Efke Schmit sagte. Umgekehrt können die jungen Unternehmen potentielle Investoren finden. Smit ist beim Verlegerverband STM Direktorin für Standards und Technologien. Die fünf Dotcoms-to-watch der APE 2015 waren „Sample of Science“, „Digital Science“, „INCEND“, „RedLink“ und „KUDOS“.
Sample of Science vermittelt Proben für wissenschaftliche Experimente (Samples). Die Firma will auf diese Weise Samples, die bisher meisten in den Schreibtischen respektive Computern der Forschenden verschlossen sind, in einen „Aktivposten für Universitäten“ umwandeln. Zur Weiterverbreitung angebotene Proben werden im Open-Access-Journal „Sample Sci. Bull.“ zitierfähig beschrieben (mit DOI). Abstract und Volltext stehen zum Herunterladen bereit. Wenn die Probe für das eigene Experiment brauchbar erscheint, kann man über die Plattform mit dem anbietenden Autor Kontakt aufnehmen, um noch mehr zu erfahren und das Sample im Anschluss beziehen. Das Bulletin und Sample of Science bilden zusammen die im Frühjahr 2013 erstmals freigeschaltete Plattform https://www.sampleofscience.net/
Digital Science bezeichnet sich als „Technologieunternehmen mit einem Fokus auf Wissenschaften“. Das Unternehmen entwickelt Software und Tools, bringt aber auch externe Anbieter und Initiativen mit ins Boot, wenn dort gute Lösungen vorhanden sind. Unternehmensziel ist, „die wissenschaftliche Forschung effizienter zu machen“. Produkte im Portfolio, von denen man in der Bibliothekswelt schon gehört hat, sind Altmetrics, FigShare und ReadCube. Weniger bekannt ist Overleaf, ein wissenschaftliches Publikationssystem für kollaboratives Schreiben, das Texterstellung und Editieren sowohl für Autoren als auch für Verleger schneller machen soll. Scrollt man auf der Webseite ganz nach unten, findet man „© 2015 Macmillan Publishers Limited. All Rights Reserved”. Die Branche erschließt sich ihre neuen Arbeitsfelder. http://www.digital-science.com/
INCEND hat sich vorgenommen, „das Wissensnetzwerk zu werden, das Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenbringt, um die Art zu revolutionieren, wie Menschen online Wissen entdecken, teilen und diskutieren“. Mittel zum Zweck sind das Web und die Sozialen Medien. INCEND lädt Interessierte ein, „das Wissen, das dich begeistert, zu teilen“, um so „zu den eigenen Interessensgebieten tiefgründiges Wissen zu finden“. Die Vision dahinter heißt „Citizen Science“ – die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Wissenschaft. Wer Beiträge liefern will, muss die Erlaubnis zum Anlegen eines Profils anfordern. Im letzten Jahr haben es die Gründer mit ihrer Idee drei Monate ins Coachingprogramm Axel Springer Plug and Play geschafft. http://www.incend.net/theincentive/
RedLink ist ein neues Business Intelligence Werkzeug für Wissenschaftsverlage. Es soll Verlegern helfen, aus Geschäfts-, Interaktions- und Kundendaten Informationen zu gewinnen, die es ihnen ermöglichen, ihre Angebote besser auf die Bedürfnisse ihrer Kunden auszurichten. Das Tool liefert Informationen darüber, wie sich die Kunden beim Besuch der Webseite und dem Umgang mit dem Verlagsangebot verhalten. Es verfolgt die Nutzung von Titeln, Downloads, und erlaubt detaillierte Analysen. Die Daten werden auf einem Dashboard interaktiv bereitgestellt. Das Werkzeug arbeitet plattformunabhängig. https://redlink.com/
Kudos war 2014 schon zum ersten Mal als „Dotcom-to-watch“ auf der APE. Ein Jahr später berichtete Mitgründer David Sommer von einem erfolgreichen Start, der mittlerweile Partnerschaften mit Branchengrößen wie Thomson Reuters, CrossRef, ORCHID, Altmetrics und Ringgold sowie mehrere Auszeichnungen gebracht hat. Kudos ist eine Art Verstärker für die Verbreitung und Auffindbarkeit von Publikationen im Netz. Es unterstützt Forschende, Institutionen und Forschungsförderer, „die Sichtbarkeit und die Wirkung von Aufsätzen, Büchern und Buchkapiteln zu erhöhen“. Das Konzept: Autoren registrieren sich auf Kudos, erklären den Inhalt ihrer Publikationen, ergänzen Kontext und Metadaten und fügen Links zu weiteren Materialien (Bilder, Daten etc.) ein. Über Soziale Medien und Email können sie direkt von der Plattform aus selbst die Nachricht verbreiten, dass sie gerade publiziert haben und erklären, um was es in ihrer Publikation geht. Die Wirkung dieser Aktivitäten wird durch Metriken erfasst und angezeigt. Institutionen und Forschungsförderern bietet Kudos Unterstützungs- und Auswertungsfunktionen rund um die Publikationen. https://www.growkudos.com/

Vera Münch
Der neue Präsident der BBAW, Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Grötschel, läßt keinen Zweifel daran, wie er sich die Zukunft vorstellt: Er will die offene Weltbibliothek, zumindest für die Wissenschaften.
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Robert Kiley, Leiter Digital Services des Wellcome Trust und amtierender Leiter der Wellcome Bibliothek favorisiert die reine CC-BY Lizenz, weil sie, so seine Interpretation, durch die Mehrfachverwendung veröffentlichter Aufsätze zu größter Nachnutzung publizierter Forschungsinhalte führt – was ja das Ziel von Open Access sei. Behauptungen, CC-BY entspräche geistigem Diebstahl und impliziere dessen Billigung, bezeichnete er als Mythen, was Professor Alexander Grossmann vom jungen Research- and Publishing-Network ScienceOpen8 auf der Stelle in Text und Foto über seinen Twitteraccount @SciPubLab in die Welt verbreitete (Abbildung links). Mit Urheber- und Quellenangabe, wie es sich für eine rechtskonforme Meldung gehört, auch wenn sie maximal 140 Zeichen hat. Unter welcher Lizenz Kiley seine Vortragsfolien zur Verfügung stellt, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht definiert, aber nach seinen Ausführungen doch ziemlich klar. Die Rechts- und Vertragslage zu diesem Tweet zu bestimmen, wäre trotzdem eine interessante Aufgabe.

Als völliger Open Access Gegner zeigte sich auf der APE 2015 niemand mehr. Skeptiker und Bedenkenträger gibt es viele. Alle weiteren Referenten dieses vom Rechtsbeistand des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Professor Dr. Christian Sprang, organisierten und moderierten APE-Konferenzblocks äußerten deutliche Bedenken bezüglich der Durchsetzbarkeit von Ansprüchen aus CC-Deckung. Rechtsanwalt Dr. Martin Schäfer von der Berliner Kanzlei Boehmert & Boehmert zeigte unter dem Titel „Open Research oder Verletzung von Autorenrechten?“ aus der Sicht eines Autors auf, wie schwierig und ungeklärt die Rechtssituation ist. Er zitierte einen Bericht des Wall Street Journals, nach dem sich Fotografen darüber erzürnten, dass die Fotoplattform Flickr Ausdrucke von Bildern verkaufte, die sie in Netz unter CC-BY verschenkt hatten. Der auf Patentrecht spezialisierte Jurist machte darauf aufmerksam, dass man bei der Betrachtung von CC-BY zwischen STM9-Wissenschaften und den Human- und Sozialwissenschaften trennen müsste. Letztere sind nach seiner Erfahrung gegenüber dem Publizieren unter Creative Commons sehr viel zurückhaltender als die Naturwissenschaften. (Doch, das hat er wirklich so gesagt, nicht umgekehrt). Rechtsanwalt Carlo Scollo Lavizarri von der Schweizer Kanzlei Lenz & Caemmerer stellte klar, dass im Falle von Rechtsstreitigkeiten das führende Dokument der zwischen Autor und Verlag abgeschlossene Vertrag ist. Weitere Vertragspartner kenne man bei Veröffentlichung nach CC-BY zunächst erst einmal nicht. Lavizarri ließ die Aussage so stehen. Wer wissen will, wie im Ernstfall entschieden wird, muss sich wohl Urteile von Musterprozessen beschaffen, so es denn welche gibt, die für den eigenen Gerichtsstand gelten.

Albrecht Hauff, Gesellschafter und Geschäftsführer der Georg Thieme Verlag KG, erklärte, Thieme unterstütze Open Access als zusätzliches Geschäftsmodell und entsprechend auch die Veröffentlichung unter CC-Lizenzen. Er sei aber beunruhigt darüber, dass der Verlag mit jedem Journal, das auf Open Access umgestellt wird, Umsätze aus der Unternehmenswelt verliere. Dass Hauffs Liebe für Open Access nicht grenzenlos ist, war unverkennbar. Thieme hat Erfahrung. Der Verlag bietet wie alle großen STM-Verlage Open-Access-Publizieren nun schon seit einigen Jahren an. Aber es ist einfach nicht einzuschätzen und auch sehr schwer vorstellbar, welche langfristigen Auswirkungen das durch Open Access ausgelöste Chaos im akademischen Publizieren10 auf das System als Ganzes haben wird. Zu viele Fragen sind noch offen. Die Straße in die Zukunft bleibt holprig. Verlagen bieten die sich abzeichnenden Strukturen trotzdem erstmals wieder die Möglichkeit, wenigstens den nächsten Streckenabschnitt strategisch zu planen.

Kontroverse Diskussionen in respektvollem Klima

Die intensive, tiefgehende Auseinandersetzung mit technischen, organisatorischen und rechtlichen Details der zukünftigen Wissensvermittlung bestimmte die APE 2015. Neben APC und CC-BY brennen der Fachwelt auf den Nägeln: a) nach wie vor die Anpassung der Begutachtungsprozesse (Peer-Review), b) der Umgang mit Forschungsdaten (Research Data) sowie c) eine nachvollziehbare Darstellung von Forschungsergebnissen, die mit Laborexperimenten und Computerprogrammen erarbeitet wurden, (Reproduzierbarkeit). Weitere im Rahmen der Konferenz thematisierte Herausforderungen waren d) die semantischen Verknüpfung von Daten und Quellen (Semantic Data, Linked Data), e) die weiterentwickelte, graphbasierte semantische Suche, f) proaktive Suchunterstützung sowie g) die Frage, wie man mit Semantik Geld verdienen kann. Lösungsansätze und Bedenken dagegen wurden in Konferenzvorträgen, auf Podien und mit dem Auditorium erörtert. In der Session „Dotcoms-to-watch“ konnte man neue Entwicklungen für den wissenschaftlichen Informationsmarkt kennenlernen (mehr dazu im Kasten „Dotcoms-to-watch“ zu diesem Beitrag).

Die Themen wurden für und wider diskutiert, wobei die Konferenzteilnehmer teilweise sehr konträre Standpunkte vertraten. Diese Gegenüberstellung der verschiedenen Sichten von Verlagen, Open Access Anbietern, neu gegründete Publikationsdienstleistern, Forschungsförderern aus Politik und Organisationen sowie Vertreterinnen und Vertretern von Bibliotheken und aus der Wissenschaft ist die große Besonderheit der APE. Arnoud de Kemp, der die Konferenz initiiert hat und sie mit seiner Geschäftspartnerin Ingrid Maria Spakler seit nunmehr zehn Jahren organisiert, gelingt es immer wieder, Befürworter und Gegner der jüngsten Entwicklungen im wissenschaftlichen Verlagswesen in Berlin zusammenzubringen. Es war aber trotzdem ein große Überraschung, den im November 2014 neu berufenen Herausgeber der renommierten Science Journals auf der Konferenzagenda zu entdecken. Anderson ist Open-Access-Skeptiker und tut das auch laut und fundiert kund. Für seine Berufung wurde die American Association for the Advancement of Science (AAAS) von Open Access Befürwortern scharf kritisiert.

Anderson sieht Peer Review als essentiellen Beitrag der Verlage zum System

Anderson forderte in seinem APE-Vortrag die Verleger mit der Frage heraus, ob sie ihr Kerngeschäft kennen würden. Er betrachtet Peer Review nicht als eine Zugabe, die Wissenschaftsverlage als Mehrwert zu ihrer Dienstleistung erbringen, sondern als essentiellen Beitrag zum wissenschaftlichen und akademischen System. Die Organisation und das Management des Peer-Review-Prozesses durch Verlage, so seine Begründung, sichere die Unabhängigkeit der Wissenschaft von Förderorganisationen und sorge für die Bewertung der Forschungsarbeiten. Das sei deshalb so wichtig, weil sich aus der Bewertung das Rangfolge-System (Priority System) ergibt, auf dem das gesamte System der Vergütung für wissenschaftliche Erfolge beruht: Fördermittelvergabe, Berufungen, Patente, Preise und Auszeichnungen, Reputation und Aufforderungen zu weiteren Publikationen. Anderson erklärte, dass der Peer-Review-Prozess, wie ihn die Verlage erbringen, das Priority-System verfeinere, und zwar durch a) die Bewertung des Neuheitswertes der Aussagen, b) die Qualität der Ausführung der Forschungsarbeit und c) die Bedeutung für das Forschungsfeld.

„Eisenbahnen sind gescheitert, weil sie nicht verstanden haben, dass sie im Transportgeschäft sind und nicht im Eisenbahngeschäft. Zeitungen scheitern gerade, weil sie nicht verstehen, dass sie im Nachrichtengeschäft sind, nicht im Zeitungsgeschäft.“ Dann stellte er die nächste provokative Frage in den Raum: „Laufen wir dasselbe Risiko, weil wir denken, dass wir im Journalgeschäft sind, nicht im Peer-Review-Geschäft?“. Diese ungewöhnliche Sichtweise und das hundertprozentige Eintreten für das Rangfolgesystem, das von weiten Kreisen als Behinderung der Wissenschaft kritisiert wird, reizte natürlich Diskussion. Anderson zeigte sich nach der APE in einem Blogeintrag in dem von ihm gegründeten Blog „Scholarly Kitchen“ sehr beeindruckt davon, wie die „gesellige Runde“ der APE-Teilnehmer, „schwierige Diskussionen mit Respekt und echter Wissbegierde führte“. Ein lesenswerter Beitrag11, der die Entwicklungen in Europa durch die Brille eines außenstehenden Fachmanns betrachtet und kommentiert.

Das Rennen um Wissensschemata im Web ist eröffnet

Passend zu den vielen Technologiethemen wurde die traditionelle „APE-Lecture“ (eine Mischung aus Lehr- und Festvortrag) vom renommierten Informatik-Vordenker Professor Dr. Hans Uszkoreit gehalten. Uszkoreit hat einen Lehrstuhl für Computerlinguistik an der Universität des Saarlandes und ist Direktor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). An Beispielen wie Wikipedia, Wikitravel/Wikivoyage12 und dem gerade entstehenden Wikispecies machte er deutlich, wie die Arbeit der Gruppen, die sich weltweit für einen freien Zugang zum Wissen einsetzen, (sogenannte Open Knowledge Communities), die Art verändert hat, wie auf Wissens- und Informationsressourcen zugegriffen wird und wie Wissenschaft und Gesellschaft das verfügbare Wissen nutzen. Der Forscher erklärte, dass der Wettlauf um strukturiertes Wissen eröffnet sei.

Die Strukturierung der Datenflut in Wissensschemata gilt als Voraussetzung, damit die im Web angebotenen Informationen von Suchalgorithmen so gedeutet werden können, das eine sinnhaltige Informationsextraktion aus einem weltumspannenden Web möglich wird. Dieses „One Web“ hatte auch schon der erste Hauptredner der Konferenz, Phil Archer, „als ultimative Vision der Arbeit des World Wide Web Consortiums“ (W3C) angeführt. Archer gehört wie Uszkoreit zur Weltspitze der Informatik- und Webforschung. In der Position des „Data Activity Lead“ von W3C in Ipswich, Großbritannien koordiniert, unterstützt und fördert er das Schaffen von Web Standards in Bereichen wie Open Data, Linked Data und Semantic Web. Archer ist überzeugt: „Das Web verändert die Kultur des wissenschaftlichen Publizierens und hebt die Bedeutung von Datensätzen, Metadaten und Metadaten über Datensätze.“ Auch Semantic sei wichtig, weil sie helfe, Information im Web klar zu identifizieren. In der heutigen Forschungskultur geht es seiner Ansicht nach darum, etwas zu entdecken (Discovery) – und dieses Etwas seien nicht nur Publikationen, sondern auch die zugrundeliegenden Forschungsdaten. Text- und Datamining würde neue Beziehungen und Zusammenhänge sichtbar machen und so neue Information kreieren.

Schneider-Kempf benennt Schattenseiten der elektronischen Welt

„Digitale Technologien gehören für Bibliotheken seit Jahrzehnten zum Arbeitsalltag“, hatte Barbara Schneider-Kempf in ihrem Grußwort zu Beginn der APE 2015 für all jene Konferenzteilnehmer deutlich gemacht, die mit bibliothekarischer Arbeit nicht so vertraut sind. Als Beispiele führte die Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin Informationskompetenz-Schulungen für Nutzer, Digitalisierung, Beschaffung und Bereitstellung elektronischer Publikationen, Langzeitarchivierung und Hosting an. Dann erklärte sie, elektronische Publikationen hätten „viele Vorteile, aber auch Schattenseiten“. Nutzungsrechte seien in der digitalen Welt vielfach stärker beschränkt als bei gedruckten Publikationen. „Über den Inhalten liegen DRM-Beschränkungen und für die Mehrzahl der e-Books ist es unmöglich, Fernleihe-Optionen zu bekommen“, führte sie Verlegern, Politik und Forschungsförderern die Probleme vor Augen, mit denen Bibliotheken täglich zu kämpfen haben. Die beiden angeführten Punkte seien nur zwei von vielen Schwierigkeiten. In der anschließenden kurzen Vorstellung ihrer Staatsbibliothek berichtete Schneider-Kempf, dass dort in den letzten vier Jahren zehn Millionen Seiten gescannt wurden, die nun allen auf der Welt zur Verfügung stünden. Im Hinblick auf die Langzeitarchivierung teilte sie mit, dass die Staatsbibliothek als erste Bibliothek in Deutschland dem Digitalarchivierungsservice Portico beigetreten ist. Dieser wird von der ohne Profit arbeitenden Organisation ITHAKA13 bereitgestellt. Dort ist auch der 1995 eingeführte Langzeitarchivierungsdienst JSTOR beheimatet.

Grötschel will die Weltbibliothek, Brüssel Open Science

Was er als Forscher will, daran ließ der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft (BBAW), Professor Dr. Dr. h.c. mult. Martin Grötschel, bei der Eröffnung der Konferenz keinen Zweifel: „Ich möchte die digitale Weltbibliothek zumindestens für die Wissenschaften haben. Eine Bibliothek, in der Forschungsergebnisse digital für alle verfügbar sind, jederzeit und für den Nutzer kostenlos.“ Natürlich müsse das finanziert und organisiert werden, aber, „da ist so viel Geld im System, dass das alles machbar ist“, so der Mathematiker. „Wenn wir über die Welt nachdenken und Fortschritte in der Wissenschaft, ist es das, was wir brauchen: Zugänglichkeit zur Wissenschaft.“

Eine ähnlich unmissverständliche Botschaft hatte auch Dr. Celina Ramjoué im Gepäck, die der APE 2015 eine „Nachricht aus Brüssel“ überbrachte: „Wir bewegen uns von Open Access in Richtung der breiteren Vision von Open Science: einer für alle Menschen offenen Wissenschaft.“ Noch befinde man sich in einem Frühstadium von Open Science. Aber die Verantwortlichen in Brüssel hätten realisiert, dass es an der Zeit sei, über den Tellerrand von „Gold versus Grün“ hinauszuschauen (womit sie sich auf die derzeit für Open Access Publikationen üblichen Bereitstellungsmodelle „Goldener Weg“ und „Grüner Weg“ bezog). Ramjoué ist Leiterin des Sektors Open Access to Scientific Publications and Data in der Generaldirektion Communications Networks, Content & Technology der Europäischen Kommission (CONNECT). Sie erwähnte in ihrer Botschaft auch, dass sich „die Kommission auf eine Reform des Copyrights konzentriert“.

Open Access ist gesetzt. Aber schon nicht mehr das Ziel

Wie man den Ausführungen der Europabeamtin entnehmen konnte, ist Open Access aus Brüsseler Sicht unwiderruflich gesetzt, aber schon nicht mehr als Ziel. Das, so erklärte Dr. Jan Velterop, sei es aber auch nie gewesen: „Das Ziel ist nicht Open Access, sondern die maximale Nutzung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse und des verfügbaren Wissens.“ Der in der Verlagsbranche als Vordenker bekannte Verfechter und Berater Open Access und Open Science bot einen Ausblick darauf, was (vielleicht) als nächstes kommt: „Auf lange Sicht geht es nicht nur um das Finden von Information, sondern um den Wert und die Macht rekombinierten Wissens“ (rekombinant knowledge).

Hat hier gerade jemand Urheberrecht gesagt?

Noch ist Open Access ein Randgebiet des elektronischen Publizierens. Aber mit dem APC Bezahlmodell und der zunehmenden Verpflichtung der Wissenschaft durch die Forschungsförderer, Open Access zu publizieren, nimmt der neue Branchenzweig deutlich an Fahrt auf.

Die nächste APE findet am 19. und 20. Januar 2016 wieder in Berlin statt. Am 18.01. ist eine Vorkonferenz als Fortbildungstag vorgeschaltet.

 


Vera Münch
Leinkampstrasse 3
31141 Hildesheim
vera-muench@kabelmail.de

 


Anmerkungen

1. Lesen Sie dazu auch unsere Beiträge „Die Fördermittelvergabe entscheidet die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens“ und „Universitätsverlage sind ein wunderbares neues Geschäftsfeld für Bibliotheken“ in der kommenden Ausgabe von b.i.t.online.

2. ESAC Efficiency and Standards for Article Charges, http://esac-initiative.org/

9. STM = Scientific, Technical, Medical.

10. Siehe dazu auch „Vorsicht Großbaustelle. Alle haften“, Bericht über die APE 2014 in b.i.t.online Heft 2/2014.