Getrieben und gut vorbereitet zugleich:
Corona an der Universitätsbibliothek Dortmund
Dr. Joachim Kreische
Die TU Dortmund hat im Vergleich zu anderen Hochschulen in Deutschland sehr früh klare Konsequenzen aus der fortlaufenden Eskalation des Pandemieausbruchs gezogen. Der gesamte Campus wurde geschlossen, ein Betreten ist zurzeit nur für Notfälle erlaubt. Auch die Universitätsbibliothek musste innerhalb kürzester Zeit die Standorte schließen und das gesamte Personal mit ihrer Arbeit nach Hause schicken. Vieles musste unter diesen Umständen improvisiert werden, trotz einer relativ hohen Quote von Heimarbeitenden (ca. 10%) waren wir auf eine vollständige Evakuierung nicht vorbereitet. Das wird uns ganz sicher kein zweites Mal passieren. Dass dennoch unglaublich viel so reibungslos funktioniert hat, lag zum einen am durchweg motivierten und flexiblen Personal und am beruhigend zuverlässigen Krisenverhalten von Menschen, die zusammenrücken und ein bemerkenswertes Sozialverhalten an den Tag legen. Ich denke schon jetzt ständig daran, wie wir diesen Spirit perpetuieren können.
Geholfen hat aber auch, dass wir sehr gut vorbereitet waren. Natürlich nicht immer mit der Intention, eine solche Krise zu bewältigen, aber durchaus mit dem jetzt passenden strategischen Ziel, eine maximal ortsunabhängige und möglichst barrierefreie Zugänglichkeit zu Informationen zu bieten. Die UB verfolgt schon seit Jahren eine E-first-Strategie und verwendet ca. 85% der Literaturmittel für elektronische Medien. Wir können für nahezu alle Fächer an unserer Universität eine breite elektronische Literaturversorgung gewährleisten. Zu vielen Verlagen bestehen entsprechende Geschäftsbeziehungen; mit den diversen Geschäftsmodellen zum Vertrieb von E-Medien bestehen praktische Erfahrungen. Auch die Strategie, die Metadaten mit eigenen, teilweise sehr hohen Aufwänden im eigenen Katalog nachzuweisen, zahlt sich jetzt aus. Wir können so umstandslos auf unseren Katalog als prioritäres Nachweisinstrument verweisen. Last but not least war unsere Entscheidung, soweit es geht, auf personalisierte Authentifizierungsverfahren wie Shibboleth zu setzen, in dieser Krisensituation Gold wert. Denn auch in Dortmund waren wie an vielen anderen Hochschulen die VPN-Zugänge hoffnungslos überlastet. Der Übergang zu den Heimarbeitsplätzen wurde dadurch unterstützt, dass die Workflows für die Standardprozesse vollständig elektronisch erfolgen. Zumindest für die elektronischen Medien kann der Geschäftsbetrieb deshalb unvermindert weiter betrieben werden.
Natürlich konnte die Standortschließung, für die zwischen Entscheidung und Umsetzung nur zwei Tage blieben, nicht reibungslos laufen, weder für die Mitarbeitenden, noch für die Nutzenden. Ich kann aber nur zur Entspannung aufrufen. In dieser Krisensituation muss es auch ohne Buchausleihe und Lernort gehen. Für letzteres gibt es keinen Ersatz, für ersteres nur einen Notdienst, der nach klarer Entscheidung der Hochschule nur für begründete Notfälle bereitsteht.
Dennoch bleiben bei allem berechtigtem Schulterklopfen mehrere unwohle Gedanken: Wir waren vielfach doch die Getriebenen, vieles hätten wir auch früher sehen können. Ein vorausschauendes Krisenmanagement darf gerne noch geübt werden (hier greift sich der Leiter an die eigene Nase). Zu spüren war auch, dass wir Bibliothekarinnen und Bibliothekare extrem zwischen dem Gefühl schwanken, uns als Nabel der Welt zu sehen und doch anzuerkennen, dass die Ausleihe von gedruckten Medien gesellschaftlich gerade nicht die Priorität besitzt. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass wir immer noch ein wenig zu sehr um uns selbst kreisen? Was mich sehr bewegt, sind auch die Reaktionen aus dem Kollegium: Wie viele sich zu Hause unwohl fühlen. Ggf. nicht ganz ausgelastet sind ohne die vertrauten Kontakte, ohne die Leitplanken des Alltags. Videokonferenzen sind zurzeit der persönlichste Kontakt, den wir zueinander pflegen können. In Zeiten, in denen Heimarbeit ein Schlagwort für eine menschlichere (und ökologischere?) Arbeitswelt ist, stelle ich eher die Frage, ob für Bibliotheken, die auch soziale Organisationen sind, zu viel Heimarbeit wirklich gut sei. Ich habe arge Zweifel.
Nach zwei Wochen extremem Krisenmanagement kommen so langsam die Gedanken, wie es nach der Krise weitergehen wird. Auf Nahsicht gefahren, geht es darum, ein System wieder hochzufahren, von dem wir gemerkt haben, wie aufwändig und disruptiv es war, zum Shutdown zu kommen. In Fernsicht stellt sich die Frage, wie verändert die Welt sein wird und was das für uns Bibliotheken bedeutet. Erste Videokonferenzen handeln davon, in denen wir sofort merken, wie gut es uns tut, nicht mehr nur auf eine nahezu stündlich veränderte Sachlage zu reagieren, sondern nach vorne zu schauen. Darüber werden wir alle viel nachzudenken und miteinander zu diskutieren haben.
Dr. Joachim Kreische
Leiter der Universitätsbibliothek Dortmund
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