6. Oktober 2024
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In der Ausgabe 6/2024 (September 2024) lesen Sie u.a.:

  • Neue Ansätze in der Bibliometrie für Natur- und Geistes­wissenschaften
  • Wie Open Science die Gesellschaft verändert
  • Dominanz großer Wissenschaftsverlage:
    das Fortbestehen eines Oligopols
    in einer exklusiven Datenbank
  • ChatGPT und systematische Literaturrecherche
  • Publikationsprozesse in Open-Science: Wie stabil sind Scholarly Knowledge Graphs
  • Eine systematische Bewertung der Informations-, Medien- und Datenkompetenz in wissenschaftlichen Bibliotheken
  • ChatGPT im Test: Stärken und Schwächen von KI-Feedback in der Bildung
  • Smartphone-Nutzung 2024:
    Zwischen digitaler Abhängigkeit
    und wachsendem Problembewusstsein
  • Kuratorische Perspektiven:
    Archivierung digitaler Medien
    und Online-Inhalte in Bibliotheken
  • Bibliotheken als Vorreiter
    bei der digitalen Inklusion
u.v.m.
  fachbuchjournal
Ausgabe 6 / 2023

BIOGRAFIEN
Vergessene Frauen werden sichtbar

FOTOGRAFIE
„In Lothars Bücherwelt walten magische Kräfte.“
Glamour Collection, Lothar Schirmer, Katalog einer Sammlung

WISSENSCHAFTSGESCHICHTE
Hingabe an die Sache des Wissens

MUSIK
Klaus Pringsheim aus Tokyo
Ein Wanderer zwischen den Welten

MAKE METAL SMALL AGAIN
20 Jahre Malmzeit

ASTRONOMIE
Sonne, Mond, Sterne

LANDESKUNDE
Vietnam – der aufsteigende Drache

MEDIZIN | FOTOGRAFIE
„Und ja, mein einziger Bezugspunkt
bin ich jetzt selbst“

RECHT
Stiftungsrecht und Steuerrecht I Verfassungsrecht I Medizinrecht I Strafprozessrecht

uvm

Karolingische Minuskel muss bereits
vor Karl dem Großen entstanden sein

Heidelberger Wissenschaftler entdeckt frühesten Beleg
der heute gebräuchlichen lateinischen Schrift

Bei Recherchen zu Schriftzeugnissen aus der Zeit Karls des Großen (gestorben 814) ist ein Wissenschaftler der Universität Heidelberg in einer Handschrift des Klosters Corbie auf den bislang frühesten Beleg der sogenannten karolingischen Minuskel gestoßen, auf der die heute gebräuchliche lateinische Schrift basiert. Viele Forscher vermuteten bislang, dass diese einflussreiche mittelalterliche Schriftart an der Hofschule Karls des Großen entstanden ist. Der Fund von Dr. Tino Licht belegt, dass diese These nicht länger aufrecht erhalten werden kann. Somit muss die karolingische Minuskel älter sein als bisher angenommen. Eine umfassende Dokumentation und Analyse findet sich in der aktuellen Ausgabe des „Mittellateinischen Jahrbuchs“.

Zweifel an der These zur Entstehung dieser mittelalterlichen Schriftart gab es bereits in früherer Zeit, so Tino Licht vom Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften der Ruperto Carola. So existiert eine Bibelabschrift in karolingischer Minuskel, die im Kloster Corbie im heutigen Frankreich angefertigt worden ist. Allerdings konnte das Entstehungsjahr dieser Handschrift aus dem 8. Jahrhundert bislang nicht exakt ermittelt werden – der Zeitraum, in dem die Bibel angefertigt wurde, überschneidet sich mit der Frühzeit der Hofschule Karls des Großen. Bei Recherchen zur Vorbereitung eines Projekts am Sonderforschungsbereich „Materiale Textkulturen“ der Universität Heidelberg stieß Dr. Licht auf eine weitere Handschrift aus dem Kloster Corbie, in der auf drei Seiten die karolingische Minuskel verwendet wird. Dieser Codex, der sich heute in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zu Berlin befindet, ist nachweislich vor der Regierungszeit Karls des Großen entstanden.

„Die Verwendung der neuen Schrift wirkt wie ein Experiment. Sie wurde möglicherweise ausprobiert“, erklärt der Heidelberger Mittellateiner. „Im Mittelalter wurde eine Schrift nicht – wie heutzutage – kreiert, sondern musste sich in einer Schreibwerkstatt, einem lebendigen Skriptorium mit Tradition entwickeln. Corbie war im 8. Jahrhundert so etwas wie ein Laboratorium für neue Schriften.“ Gerade das spreche auch gegen das in vielen populärwissenschaftlichen Geschichtsbüchern verbreitete Bild, Karl der Große habe im Rahmen seiner kultur- und bildungspolitischen Aktivitäten die Entwicklung dieser Schriftart mehr oder weniger in Auftrag gegeben, um eine einheitliche, gut lesbare Schrift zu schaffen.

Für die Forschung, so Tino Licht, stellen sich mit seinem Fund neue Fragen: Wurde die karolingische Minuskel vom Hof des fränkischen Königs direkt von Corbie übernommen? Oder sind Hof und Corbie nicht sauber zu scheiden und die Schreibwerkstatt der Hofschule Karls des Großen war Corbie selbst? „Antworten auf diese Fragen der Schriftgeschichte erlauben uns auch neue Einblicke in die Kulturgeschichte dieser Zeit“, sagt der Heidelberger Wissenschaftler.

Tino Licht: Die älteste karolingische Minuskel. In: Mittellateinisches Jahrbuch. Internationale Zeitschrift für Mediävistik und Humanismusforschung 2012 (3. Heft), Band 47, S. 337-345.