Lagerfeuer im Dickicht digitaler Didaktik
Lehre an der HAW Hamburg im Corona-Semester 2020
Frauke Schade
Die HAW Hamburg startete als eine der ersten Hochschulen in Deutschland ihren Vorlesungsbetrieb bereits am 9. März – zunächst noch im fast normalen Regelbetrieb. Am 13. März forderte der Präsident der HAW die Lehrenden dazu auf, „das Angebot digitaler Lehre maximal zu erhöhen“. Am 14. März wurden die Pforten der Hochschule ganz geschlossen. Während die Universitäten in Hamburg den Start des Semesterbeginns auf den 20. April verschoben haben, ist es hier anders. Vom 14. auf 16. März wurde die Lehre von präsenz weitgehend auf digital umgeschaltet.
Zwar nutze ich, wie alle meine Kolleg/-innen eine digitale Lernplattform, doch meine Lehre ist auf Präsenz ausgelegt. Die digitalen Formate dienten bisher nur zur Unterstützung, um Übungen, Arbeitsmaterialien und Anliegen über die Präsenzphasen hinaus auszutauschen. Was jetzt?
Rettung ist in Sicht
Das Hochschulforum Digitalisierung hat für das „Corona-Semester“ eine eigene Seite gehisst. Dort finden sich zahlreiche Instrumente und didaktische Hinweise sowie die Kontaktdaten zur „Corona-Task-Force“. Auch an der HAW Hamburg reagiert die Stabsstelle für Lehre und Didaktik schnell und pragmatisch, stellt Handreichungen, Programme und Online-Materialien zur Verfügung. Die Stabsstelle richtet auch ein Forum ein, in dem HAW-Dozent/-innen seither „heiß laufen“. Tipps und Erfahrungen kommen auch von Kolleg/-innen über das KIBA-Forum oder den „Flurfunk“.
Zwei große Fragen stehen im Raum: a) Synchrone oder asynchrone Lehre? b) Welche Plattform: Adobe Connect, Zoom, Teams, was anderes? Die Meinungen gehen weit auseinander.
Steile Lernkurven
Seit dem ersten Wochenende des Lockdowns arbeite ich mich durch das Dickicht digitaler Didaktik. Ich melde mich in zahlreichen Programmen an, nur um mich gleich darauf wieder entnervt abzumelden. So richtig helfen die Online-Tools bei spezifischen Fragestellungen oftmals nicht weiter. Durchforstet werden auch Methodenkoffer zu digitaler Lehre und Online-Tutorials, bei denen es manchmal nur um die simple Frage geht, wie man ein externes Mikro an den Rechner anschließt. Ich lerne auch sonst viel Neues oder frische Bekanntes auf – zwischendurch im Homeschooling meiner Töchter: Kalter Krieg, rote Gentechnik, Differenzialrechnung … . Bevor ich schon am frühen Abend ins Bett falle, übe ich mit einer befreundeten Lehrerin noch, wie Video Conferencing im Unterricht geht. Tom Becker und Ursula Arning, die ein ähnliches Fach an der TH Köln haben, laden mich in ihren digitalen Lernraum ein und ich sie in meinen. Ich stelle fest: Ah, so kann Bestandsmanagement also auch funktionieren. Ähnliche Themen, aber ganz andere Aufgaben. Spannend! Die Hochschulehrer/-innen legen im Frühjahr 2020 eine steile Lernkurve in Sachen digitaler Lehre hin – weltweit.
Am 19. März gehe ich mit meiner Lehre sowohl mit einem synchronen Format über Zoom, als auch asynchron über Moodle und Etherpad online.
Peep Show oder digitales Lagerfeuer?
Während das Sympathische an den neuen Videokonferenzen mit Kolleg/-innen ist, dass sie einem näher erscheinen, weil man sie im privaten Umfeld erlebt, sind die Webcams der Studierenden bei meiner ersten Live-Schalte alle aus. Mit Blick auf die Überlastung der Leitungen ist das wahrscheinlich professionell. Trotzdem fühle ich mich wie in einer Peep Show und möchte gar nicht wissen, was auf dem Secondscreen in der WhatsApp-Gruppe des Kurses passiert, während ich versuche, eine Einführung in Unternehmenskommunikation zu geben. Schnell wird klar, dass synchrone Lehre so nicht funktioniert. Nach und nach lassen auch die Studierenden „ihre Hüllen“ fallen: Ich sehe in ernste Gesichter und begegne Studierenden, die gerade nicht so genau wissen, wo sie stehen, weil noch unklar ist, wie das Semester laufen wird, weil sie Jobs verloren haben, in ihren Studentenbuden vereinsamen oder sich darin untereinander auf die Nerven gehen.
Während Hochschullehrer/-innen es gewohnt sind, sich zumindest in der vorlesungsfreien Zeit in ihrem Elfenbeinturm „einzumotten“ und Arbeitsphasen in Einsamkeit zu strukturieren, berichten die Studierenden genau das Gegenteil. Für sie ist es schwierig, sich zu motivieren und die Selbstlernphasen zu organisieren, wenn Struktur und Kontakte fehlen. Auch mein Kollege Dirk Lewandowski hat dies bei seinen Studierenden bemerkt. In einem Videobeitrag gibt er Tipps, wie man Motivation und Produktivität steigert.
In der dritten Woche des Corona-Semesters treffen wir uns weiterhin am digitalen Lagerfeuer des Live-Formats. Wir versuchen, die wichtigsten Fragen und Inhalte zu klären und in Kontakt zu bleiben. Am Ende des Treffens winken wir uns zu. Für substantielle Online-Lehre reicht dies jedoch noch nicht aus.
Lehrvorträge, die wie Staatsreden klingen
Mittlerweile fertige ich für komplexere Inhalte Screencasts zum Nachhören und Podcasts zur Vertiefung an. Für meinen ersten Screencast habe ich mehr als zehn Stunden gebraucht. Dies hat deshalb so lange gedauert, weil ich meinen Vortrag und auch die eigene Stimme nicht ertragen habe. Ich stelle mir vor, dass nach der Corona-Krise die Dozent/-innen glasklare Stimmen haben und Lehrvorträge halten, die wie Staatsreden klingen. Meinen Arbeitsplatz habe ich mittlerweile mit einem besseren Mikro ausgerüstet und würde mir eine externe Webcam wünschen. Aber die ist erst wieder Mitte Mai lieferbar. Ich habe den Verdacht, dass Webcams das Klopapier von Hochschullehrer/-innen sind. Jede Unterrichtseinheit der Präsenzlehre muss ich mir neu überlegen und in ein digitales Format übersetzen. Der Arbeitsaufwand ist immens, die Arbeitsbedingungen sind mieser denn je.
Fallstricke zwischen Home und Office
Man braucht schon einigermaßen Nerven, um in Videokonferenzen konzentriert zu bleiben, während der „Rest“ der Familie – im gebührenden Sicherheitsabstand zum Schreibtisch ? das morgendliche Fitnesstraining absolviert und Mineralwasserkästen mit den Füßen in die Luft stemmt. Die jüngste Tochter scheut sich auch nicht davor, in ein laufendes Webinar zu platzen, um vor den Augen der Studierendenöffentlichkeit eine vehemente Diskussion darüber anzuzetteln, wie lange der „Unterricht eigentlich noch dauern soll und warum das eigentlich wichtig ist?“ Stimmt, die letzte Runde „Stadt, Land, Fluss …“ ist ja eigentlich auch schon eine ganze Weile her … .
Alltag, der kein Alltag ist
Wir bemühen uns um einen Alltag, der kein Alltag mehr ist. Zu einer meiner neuen Morgenroutinen gehört es seit Mitte Februar, die Corona-Map der Hopkins University aufzurufen, auf der sich die Welt zunehmend rot färbt. Tief eingebrannt haben sich die Bilder aus Bergamo, New York oder einem Pflegeheim in Wolfsburg. Kaum vorstellbar, was passiert, wenn das Corona-Virus den afrikanischen Kontinent trifft. Eine Kollegin kam Mitte März von einer Dienstreise aus Äthiopien zurück und war zwei Wochen in Quarantäne, weil es einen ersten Fall in Addis Abeba gab. Jetzt steigen auch dort die Zahlen der Infizierten.
Mittags drehe ich eine Runde durch den Kiez. Normalerweise trinke ich noch einen Kaffee im Tildas, treffe dort mitunter Freunde oder mache einfach nur Office out of Home. Die Rollläden von Tilda sind geschlossen. Mit Ausnahme der kleinen Lebensmittel- und Buchläden, von denen es hier einige gibt, sind alle Rollläden der Gastronomen und Einzelhändler am Prenzlauer Berg heruntergelassen. An den Zäunen hängen beschriftete Beutel mit Lebensmitteln und Hygiene-Artikeln, für diejenigen, die gerade völlig unterm Radar sind. Auch die Kiezkantine, das Nachbarschaftszentrum, die Begegnungsstätte für Ältere und die Bibliothek haben geschlossen. Keiner weiß – schon gar nicht die Betreiber/-innen, ob sie nochmals öffnen werden. Die meisten Händler/-innen und Dienstleister/-innen im Kiez halten das Corona-Koma maximal ein, zwei Monate durch. Hilfen kommen schleppend, manchmal auch gar nicht an. Auch die wirtschaftlichen Folgen werden dramatisch sein, nicht nur für große Unternehmen, sondern auch die vielen kleinen Läden, Cafés und Restaurants, kulturellen und sozialen Einrichtungen, die als dritte Orte einen Kiez lebendig machen.
Trotz allem, habe ich die Hoffnung, dass wir nach der Corona-Krise viel gelernt haben – nicht nur in digitaler Didaktik, sondern auch fürs Leben. Vielleicht bleiben wir konzentrierter auf das Wesentliche, toleranter und pragmatischer im Umgang mit anderen und haben mehr denn je das Gefühl, Teil einer Welt zu sein.
Prof. Frauke Schade
Hochschule Angewandte Wissenschaften Hamburg, Fakultät Design, Medien, Information
Finkenau 35
22081 Hamburg
frauke.schade@haw-hamburg.de